Hessisches Trachten- und Heimatfest

Trachten- und Heimatfest mit Weihe des Gedenksteins 9. August 1936

Trachtenzug und Freilichtspiel Landgraf Philipps des Großmütigen Heimkehr
Die Weihe des erneuerten Gedenksteines an der Philippsbuche bei Simmersbach gestaltete sich dank der warmen Sommersonne, die uns nach langen verdrießlichen Regenwochen nun endlich in kaum noch erhofften Glanze leuchtet, ganz wie erwartet zu dem großen Heimatfest der Bevölkerung des hessischen Hinterlandes und der angrenzenden Gebiete. Eine nach vielen Tausenden zählenden Menschenmenge versammelte sich am 9. August 1936 auf dem historischen Boden des Staffelböll, wo am 9. September des Jahres 1552 Landgraf Philipp von Hessen mit dem Beinamen des Großmütige, ein Mann von überragender geschichtlicher Bedeutung, nach seiner Befreiung aus schmachvoller Kerkerhaft in Flandern erstmalig wieder seinen Fuß auf heimatlichen Boden setzte. Einem Ameisenhaufen glich die in sanfter Rundung ansteigende, nach oben abgeplattete Bergkuppe, von deren fast 550 Meter hohem Gipfel sich ein herrlicher Rundblick von unvergleichlicher Allumfassenheit dem entzückten Auge des Wanderers darbietet. Aus allen Himmelsrichtungen waren sie herbeigeströmt, um hier oben in der herrlichen Natur zwischen schlanken Fichten, breitästigen Kiefern, zwischen duftendem Heidekraut und Wacholderbüschen erinnerungswürdige Stunden zu verleben, die gleichermaßen getragen waren von der Ehrfurcht vor einer großen Vergangenheit, wie von dem Wissen zur Gemeinschaft der neuen Zeit. Und wenn auch das gegebene Versprechen nicht ganz eingelöst wurde, wenn auch angesichts des unerwartet riesigen Besucherandrangs sich die organisatorischen Vorbereitungen als bei weitem nicht ausreichend erwiesen, so kann es doch niemanden gereut haben, seine Schritte zum Staffelböll gelenkt zu haben, denn jeder, der heraufgekommen war, er hat etwas mitgenommen hinunter in seinen Alltag. Und wer aus dem Munde des Schirmherrn, des Kreisleiters Thiele vernommen hat, daß dieses Fest hier alljährlich seine Wiederholung finden soll, dem ist es aufgegangen, daß dem hessischen Hinterlande hier eine neue Weihe- und Erholungsstätte, daß ihm hier an seiner westlichsten Grenze, ein starkes Bollwerk seines Volkstums entstanden ist.

Den Auftakt bildete ein Fackelzug, der am Samstagabend hinauf zur Höhe führte, wo sich zahlreiche Zuschauer aus Simmersbach und den umliegenden Orten eingefunden hatten, um hier im Schein eines brennenden Holzstoßes eine eindrucksvolle Feierstunde mitzuerleben. Flammensprüche umrahmten eine Ansprache des Pg Roeffer aus Frankfurt a. M., der über Sinn und die Bedeutung von Volkstum und Heimat und die Ausgestaltung der Dorfgemeinschaften sprach.
Am Sonntag setzte auf allen Straßen und Wegen, die zur Wasserscheide führen, eine wahre Völkerwanderung ein. Das kleine, in Waldes- und Flurenpracht anmutig eingebettete Simmersbach hatte zu Ehren der Gäste reichen Fahnenschmuck angelegt. Und wenn auch infolge berechtigter Sorge um Einbringen der gefährdeten Ernte die Einwohnerschaft nicht in der Lage war, sich den Vorbereitungen für die Gestaltung Festes in dem selbstverständlich geplanten Umfange zu Sorgen, so war der Empfang doch nicht weniger herzlich. Davon sorgten nicht zuletzt die festlich gedeckten Kaffeetafeln mit dem besten Porzellan und den Kuchenbergen, die der Abtragung harrten. Das Mittagessen war schon frühzeitig bewerkstelligt, denn um 1 Uhr mittags sollte sich bereits der historische Festzug in Bewegung setzen. Auch er mußte infolge der außerordentlichen Inanspruchnahme der bäuerlichen Bevölkerung durch die Erntearbeiten leider Einschränkungen erleiden, und einige Gruppen mußten ausfallen, weil die erforderlichen Wagen am Sonnabend bis zum Eintritt der Dunkelheit dringend für das Einfahren des reifen Getreides dringend benötigt wurden. Aus dem gleichen Grund hatten auch einige Trachtengruppen aus anderen Teilen des historischen Kostüme der mittelalterlichen Edelleute, der hessischen Arkebusiere und der spanischen Söldner, die sich um das Prunkgewand des Landgrafen Philipp gruppierten, eine besondere Note erhielt. Angeführt wurde der Zug von der Gruppenkapelle 222 des Reichsarbeitsdienstes Dillenburg, ihr folgten der SA-Sturmbann 3 88, die Schulkinder des Dorfes Simmersbach, sowie eine Gruppe Werkscharmänner von der Ludwigshütte. Dann kam hoch zu Roß Landgraf Philipp mit seinen ebenfalls größtenteils berittenen, etwa 35 Köpfe umfassenden Gefolge und anschließend die Trachtengruppen von Breidenstein, Oberdieten, Oberhörlen, Nieder- und Obereisenhausen, Frechenhausen und Simmersbach.
Den Abschluß bildeten einige Wagen, von denen der mit der Flachsbearbeitung besonders beachtet wurde, zumal man ihn als einen wertvollen Beitrag für die Erzeugungsschlacht empfand.
Nach langen beschwerlichen Marsch langte der Zug gegen 2 Uhr auf dem Festberg an, wo alsbald auf einer improvisierten Freilichtbühne das historische Festspiel „Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen“
in Szene ging. Es stellt in enger Anlehnung an die Historie, jedoch mit aller dichterischen Freiheit ausgestaltet, die denkwürdige Wiederkehr Philipps in sein Hessenland dar. Auf der alten Heerstraße, die nun von einem gewöhnlichen Holzabfuhrweg nun nicht mehr zu unterscheiden ist, erreicht der Landgraf, aus Richtung Steinbrücken – Sohl kommend, die Landesgrenze, wo ihm die getreuen Untertanen, die von allen Seiten herbeigeeilt sind, einen rührenden Empfang bereiten. Zwei Edelleute aus des Landgrafen Gefolge sind vorausgeeilt und treffen hier oben auf der Höhe, beschäftigt mit den Vorbereitungen für die Festliche Begrüßung des Fürsten, ihre beiden Verlobten, zwei junge Simmersbacherinnen. Eine reizvolle Szene, belebt durch den Austausch von Erinnerungen, durch Scherz, Gesang, Lautenspiel und einen fröhlichen Umtrunk, dient in glücklicher Weise der
Vorbereitung auf die Ankunft des Landgrafen, der an der Spitze seines Gefolges alsbald erscheint, um die Huldigung und das Treuegelöbnis seines geliebten Hessenvolkes , dem in dem Schultheißen von Simmersbach ein beredter Dolmetsch erwächst, entgegen zu nehmen. Er macht zwei Paare glücklich, schlichtet einen drohenden Ausbruch einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen einem seiner Getreuen und einem spanischen Söldner, schüttet einen Tropfen Skepsis und Mäßigung in den Überschwang seiner vier Söhne, die zum Rächer seiner Schmach werden wollen und findet darüber hinaus Gelegenheit, seine friedfertige und versöhnliche Gesinnung zu erweisen, aber auch sein unveräußerliches Hausrecht zu betonen.
„Hier ist nicht Spanien, hier ist deutscher Boden,
wir richten unser Haus uns selbst ein.“
Die Treue seines Volkes für das angestammte Fürstenhaus ist geeignet, seine Sorgen um die Zukunft des Vaterlandes zu zerstreuen. Seherisch ahnt er schon das Heraufsteigen einer neuen Zeit:

„In lichten Finsternissen, in Mechels Kerker,
Da sah ich oft im Geist ein neues Volk.
Mit einer neuen Seele, die kein fremder Herrscher
In Bann, in Fesseln schlagen kann.
Und einen Herzog sah ich sieghaft stürmend,
Und ziel- und kraftbewußt entfaltet er
Ein neues Banner über Deutschlands Gauen.
Das Herz des Volkes aber, das zersplittert
In Stämme und Parteien, Konfessionen
Befreit er von der Knechtschaft schwerer Kette
Und führt es aus dem Haß, der Ich sucht,
Aus Not und Wehe hin zu lichten Höhen.“
Philipp glaubt an sein Volk und an einen bewehrten Frieden.
„Das sei der Hoffnungsstern, der hell uns leuchtet,
in deutscher Nacht, heil dir, du neue Jugend,
die einst geboren wird, die Ketten uns zu lösen.“

Nach diesem zuversichtlichen Ausblick wendet sich der Landgraf sein Roß und setzt unter den Heilrufen seines begeisterten Volkes über die alte Heerstraße seinen Weg nach Marburg fort.
Das von Wilhelm Schlappig verfaßte Spiel wird der Bedeutung des historischen Geschehens durchaus gerecht und zeichnet ein treffliches Charakterbild des Landgrafen, der als ein gütiger Landesvater voller Weisheit und Besonnenheit aber auch als ein wahrhafter Führer, als deutscher Mann von unbeirrbarer Festigkeit und Gesinnungstreue erscheint. Es enthält viele Wertvolle Gedanken, die zum Teil auch eine recht glückliche Formulierung gefunden haben. Zwei Lieder zur Laute, von Kapellmeister Karl Hoffmann (Dillenburg) vertont, bereichern das Spiel und sind wert, in das volkstümliche Liedgut unserer Heimat einzugehen. Wenn Trotz dieser unbezweifelbaren Vorzüge das Spiel nicht zur Geltung kam, so lag dies an den denkbar ungünstigen Verhältnissen, die eine regelrechte Darstellung überhaupt unmöglich machten. Die Menschenmenge hatte die Absperrung durchbrochen und wich nicht mehr zurück, verteidigte vielmehr mit Zähigkeit das mühsam eroberte Gelände mit der Tendenz, immer weiter nach vorn vorzudringen, so daß schließlich ein Spielfeld überhaupt nicht mehr vorhanden war und die Darsteller sich von allen Seiten eingekeilt sahen. Oben schwankten bedenklich die Fichten, in denen die Jugend einen unsicheren Posten bezogen hatte. Fortgesetzt knackten die Äste, und das Stimmengewirr vom Festplatz drang störend herauf. Nur die Umstehenden waren in der Lage, dem Spiel zu folgen, das auch dadurch beeinträchtigt wurde, daß die Verbindung zwischen Musikkapelle und den Darstellern abgeschnitten war. Trotz diesen vielerlei Hemmungen, die den Gesamteindruck des Spiels natürlich außerordentlich beinträchtigen mußten, bot dies ein lebendiges buntfarbiges Bild, daß denen, die es wahrzunehmen vermochten, zur Freude und Erbauung gereichte.
Nach dem abziehenden landgräflichen Reisetroß eine Gasse gebahnt war, flutete die Menschenmenge nach der Philippsbuche, in deren raumgreifenden Schatten sich nunmehr der Festakt zur

Weihe des erneuerten Gedenksteines

vollzog. Er wurde eingeleitet durch eine Begrüßungsansprache des Stützpunktleiters und Kreisgeschäftsführers der DAF Dillenburg, Clemens (Simmersbach), der die Gäste, an ihrer Spitze den Schirmherrn des Festes Kreisleiter Thiele begrüßte. Dankbar bedachte er aller derer, die zum Instandekommen des Festes beigetragen hatten und würdigte namentlich die Verdienste der hessischen Geschichtsvereine. Er schloß mit dem Wunsch, daß dieses Fest für alle Teilnehmer zu einem Erlebnis werde und daß es das spenden möchte, was die DAF durch Ihre Freizeitorganisation vermitteln will, nämlich „Kraft durch Freude“.
Dann nahm Lehrer Pez, Herbertshausen, ein bekannter Hinterländer Heimatforscher das Wort zu einem großangelegten Vortrag über die Vergangenheit des hessischen Hinterlandes, der leider infolge der Unmöglichkeit, ihn ohne Lautsprecherhilfe einer so großen Zuhörermenge zu vermitteln, nicht die Beachtung fand, die er verdiente. Der Vortragende erinnerte zunächst an die Umstände, die zur Errichtung des Philippssteins führten und würdigte in diesem Zusammenhang die Verdienste des inzwischen verstorbenen Geheimen Justizrats Büff (Kassel), und der für die Verwirklichung seiner Idee in Kreisen der hessischen Geschichtsfreunde eifrig warb und auch eigene Mittel dafür bereitstellte. Er gedachte ferner der tatkräftigen Förderung des Planes durch die Simmersbacher Bürger Heinrich und Johann Gail sowie des damaligen Bürgermeister Beck, der es in enger Zusammenarbeit mit dem oberhessischen Geschichtsverein Biedenkopf im Jahre 1910 erreichte, daß am 11 September 1910 die Weihe des Gedenksteins erfolgen konnte.
Nach diesen Vorbemerkungen leitete Lehrer Pez zu den bedeutsamen geschichtlichen Vorgängen über, die der Errichtung des Philippsteines bzw. der Pflanzung der alten Buche zugrunde liegen. Er entwarf ein anschauliches Lebens- und Charakterbild des Landgrafen Philipp des Großmütigen, der als Sohn Wilhelms II. des Mittleren von Hessen geboren, von 1518 – 1567 lebte und der die für die Geschichte seines Landes wie für die deutsche Geschichte eine erhebliche Bedeutung erlangt hat.
Die Regierung dieses größten aller Hessenfürsten fiel in eine entscheidungsvolle Zeit deutscher Geschichte und war von fast unlösbaren Schwierigkeiten sozialer, wirtschaftlicher, politischer und religiöser Art erfüllt. Die Gegensätze zwischen Bauern und Grundherren auf dem Lande, zwischen Fürsten und Geschlechtern in den Städten, zwischen Laien und Klerus, Reichsrittern und Fürsten, landesfürstlicher Freiheitsspekulation und kaiserlicher Reichsgewalt kennzeichneten jene Epoche. Dessen ungeachtet hatte Hessen unter Landgraf Philipp dem Großmütigen eine weit über seine Grenzen hinaus reichende Bedeutung, ja eine wahrhaft weltgeschichtliche Rolle zu spielen, und es erlebte dank der hervorragenden Begabung seines Landesfürsten, und dank dessen seltener Entschlossenheit und Tatkraft den Höhepunkt seiner Geschichte überhaupt. Den Reformationsbestrebungen stand Philipp anfänglich ablehnend gegenüber. Bis 1524 duldete er keine lutherischen Prediger im Lande. Dann trat plötzlich der Umschwung ein, den wohl sein eigenes Studium überaus eifriges Bibellesen veranlaßt hat. Und mich beindruckten die Klugheit, daß besonnene Wesen und der Gerechtigkeitssinn des Fürsten, daß sich die neue Lehre nirgends so rasch ausbreitete, wie in Hessen. Philipp war sich darüber im Klaren, daß zum Schutz der neuen Lehre, und wenn sie überhaupt lebensfähig sein sollte, eine starke politische Organisation unumgänglich sei. Daher schloß er ein Bündnis mit Kurfürsten zur Verteidigung der evangelischen Lehre, löste gleichzeitig sein Verhältnis zum Schwäbischen Bund und rief 1535 den Schmalkaldischen Bund ins Leben. Dadurch trieb er einen Keil in Österreichs Machtstellung in Süddeutschland und schuf so dort der evangelischen Sache einen Ausgangspunkt. Luther wertete diesen Kriegszug als die größte politische Tat Philipps, und seit jener Zeit wurde der Fürst von seinem Volk „der Großmütige“ genannt.
Solange Kaiser Karl V. die Hilfe der Protestanten für seine auswärtigen Kriege brauchte, stand er ihnen auf freundschaftlichen Fuße. Das änderte sich sofort, als er eine Erleichterung in seinen auswärtigen Angelegenheit verspürte. Als die Protestanten sich weigerten, das Konzil zu Trient zu beschicken, nahm der Streitfall einen ersten Charakter an. Karl V. versuchte nun die Ketzer mit Waffengewalt niederzuwerfen. Durch Versprechungen wußte er den Kurfürsten Moritz von Sachsen für sich zu gewinnen. Nach seinem Siege in der Schlacht bei Mühlberg über den Schmalkaldischen Bund richtete sich des Kaisers Augenmerk darauf, Philipp als das Haupt der evangelischen Sache in seine Hände zu bekommen. Mehrmals versuchte Philipp, eine Versöhn7ung mit dem Kaiser anzubahnen, jedoch stets erfolglos, bis sich endlich sein Schwiegersohn Moritz von Sachsen für ihn verwandte. Zwar hatte der Landgraf von Hessen längst erkannt, daß die Politik des Kaisers einen unwahrhaftiges war, aber während Philipp alles tat, soweit Ehre und Gewissen es zuließen, um den Kaiser zufrieden zu stellen, verlangte dieser eine Unterwerfung auf Gnade und Ungnade und dann „fußfallend Abbitte“ vor den Großen des Reiches. Stets das wohl des Landes im Auge habend, ging Philipp, wenn auch in großer Sorge auf diese Forderung des Kaisers ein. Aber im Lager von Wittenberg waren von den kaiserlichen Räten bereits die Schlingen für ihn gelegt. In einer besonders herbeigeführten Besprechung erreichte man eine Nebenabmachung, in welcher das Wort „einiger Gefängnis“ hinzugeführt wurde.
Am 18. Juni 1547 hielt Kaiser Karl V. in Halle ein großes Hoflager ab, wohin auch Philipp geladen war. Hier hatte nun Philipp vor dem Kaiser seine Abbitte zu leisten. Der Kaiser verzieh im zwar, verhängte aber eine Freiheitsstrafe und verhielt sich allen Einsprüchen gegenüber verneinend. Damit begann die Haft Philipps, die dadurch über die ursprünglichen Absichten des Kaisers hinaus ausgedehnt wurde, nachdem Alba die Klausel „einiger Gefängnis“ verfälscht hatte. Philipp wurde zuerst nach Odenarbe verbracht und später nach Mecheln übergeführt. Mehrfache Vorstellungen, die von Seiten der Fürsten von Sachsen und Brandenburg erhoben wurden, ließ der Kaiser unbeachtet. In der ersten Zeit seiner Gefangenschaft war es dem Landgrafen noch erlaubt, sich den Regierungsgeschäften seines Landes zu widmen, nach einem mißglückten Befreiungsversuch wurde er in strenge Haft genommen. Aus dieser Zeit seiner Gefangenschaft ist noch im Landesmuseum seine Bibel erhalten, die er fleißig studiert haben muß, wie zahlreiche Unterstreichungen und Randnoten erkennen lassen. Ein zweiter Versuch zur Befreiung des Fürsten mißlang ebenfalls, die Beteiligten wurden größtenteils hingerichtet. Als 1552 der Kurfürst Moritz von Sachsen nach abermaligen vergeblichen Vorstellungen zu Gunsten Philipps ein Bündnis mit Frankreich und mit anderen deutschen Fürsten schloß, kam es zu den bekannten Kämpfen in Süddeutschland. Der Kaiser wurde zur Flucht gezwungen und durch Waffengewalt zum Abschluß des Passauer Vertrages genötigt. Eine Hauptforderung dieses Vertrages war neben anderen wichtigen Bestimmungen die sofortige Haftentlassung Philipps, die nun von des Kaisers Schwester, der Königin von Ungarn, bewirkt wurde.
Am 4. September 1552 verließ Philipp Loewen und reiste über Neuss/Köln in Begleitung einer kaiserlichen Eskorte nach Siegen. Nach fünf Jahren, elf Wochen und zwei Tagen war er wieder frei, jedoch hatte ihn die Gefangenschaft alt gemacht. Als ein gebrochener Mann kehrte er in seine Heimat zurück. Seine Gemahlin Christine war inzwischen vor Kummer gestorben. Der Graf von Nassau Siegen gab ihm bis an die Grenze seines Landes das Geleit, und dort auf der Höhe, in der Gemarkung Simmersbach empfingen ihn seine Söhne und seine Getreuen. Viele Hunderte seiner Untertanen waren aus aller Umgegend herbeigeströmt, um den geliebten Landesfürsten beim Überschreiten der Grenze begrüßen zu können. Als Erinnerungsmal pflanzten die Bauern von Simmersbach eine junge Buche, die fernsten Geschlechtern noch in zukünftigen Tagen von der großen Geschichte jener Zeit erzählen und sie an die Hessentreue erinnern sollen, die schon Tacitus in seinen Annalen preißt.
Als eine kämpferisch deutsche Heldengestalt, als ein Verteidiger der Freiheit und der deutschen Sache gegen spanische Hinterlist ist Philipp in die Geschichte eingegangen. Er ahnte auch schon das Heraufsteigen einer neuen Zeit, deren Grenzen zu überschreiten ihm indessen nicht mehr vergönnt war. Getreu seinem Wort: „Einer gebietet“ blieb er bis zu seinem Lebensende ein unbeirrbarer Verfechte der deutschen Sache. Seine große Zeit hat schon Bausteine geliefert für unser drittes Reich. Die dankbare Nachwelt vergißt die heldischen Ahnen nicht und erinnert sich gern ihrer großen Taten.
So mag denn der Philippstein, so schloß der Vortragende die seine aufschlußreichen Darbietungen, bis in die fernsten Zeiten hinein den Enkeln jener großen Vorfahren von der Dankbarkeit Kunde bringen, die sie einst bewiesen und von der auch die Inschrift des Denkmals zeugt. Kreisleiter Thiele lenkte in seiner Weiherede die Gedanken seiner Hörer zunächst auf

Wenn einstmals in der weiten Welt
Die Treu der Klugheit räumt das Feld.
Sonst nirgends eine Ruhstatt hätte –
Das Hessenland bleibt ihre Stätte.

das große Weltereignis der Olympiade (1. bis 16. August 1936 in Berlin) und betonte, daß auch dieses Heimatfest auf dem Staffelböll ein Spiegelbild jenes großen Geschehens sein wolle, in dessen Zeichen Deutschland zurzeit stehe. Er dankte allen Helfern an der Gestaltung des Festes, insbesondere Hüttendirektor Jung (Straßebersbach), der einen erheblichen Teil zur Wiederherstellung des Gedenksteins beigetragen habe, und entbot seinen Gruß allen Gästen, wobei er insbesondere auch seiner Befriedigung und Freude über die zahlreiche Beteiligung der Bevölkerung des benachbarten Dillkreises Ausdruck verlieh. Mit Genugtuung wurde die Mitteilung des Kreisleiters aufgenommen, daß nach

Kreisleiter Thiele bei seiner Ansprache seinem Wunsch und Willen das Gedächtnis der Wiederkehr des Landgrafen Philipp nun alljährlich auf diesem Platz festlich begangen werden soll an einem noch zu bestimmenden Tage. Damit wolle man dokumentieren, daß wir auf Grund der reichen Geschichte des Hinterlandes gesonnen und gewillt seien, das Werk unserer Vorfahren zu bewahren und fortzuführen. Es habe einmal eine Zeit gegeben, da es nicht möglich gewesen sei, solche Heimatfeste aufzuziehen, als unser Volk in Stämme und Parteien zersplittert war, und Mächte regierten, die es nicht.
zulassen wollten, daß die alte Kultur gepflegt wurde. Der Redner verglich das arbeitende, aufstrebende Deutschland, von dem eine unverantwortliche Hetze 3 ½ Jahre lang draußen in der Welt ein Zerrbild entworfen hat, das aber nun von den zahlreichen, anläßlich der olympischen Spiele bei uns zu Gast weilenden Ausländern in seiner wahren Gestalt erkannt werde, mit den Zuständen in Spanien, wo der Bolschewismus ein armes gequältes Volk zugrunde richte, und gedachte in diesem Zusammenhang der deutschen Volksgenossen, die als Opfer des spanischen Bürgerkrieges (Juli 1936 und April 1939) ihr Leben lassen mußten.
Wenn wir heute in einem Deutschland leben, das wieder stark und wehrhaft sei, so hätten wir dies allein unserem Führer zu verdanken, der uns in diesen Jahren stets als ein leuchtendes Vorbild vorangegangen sei. Als einzelne seien wir wehrlos, aber zusammengeballt stellten wir eine unüberwindliche Macht dar, und daher ergehe in diesen Tagen erneu der Ruf an alle, zusammenzustehen wie ein Mann. Der Redner verwies sodann auf den Entscheidungskampf, der sich jetzt zwischen zwei Weltanschauungen abspiele, zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus. Nur einer von beiden werde die Plattform besteigen, und an dieser Frage kämen die Völker der Welt nicht vorbei, möchten sie sich krümmen, wie sie wollten. Schließlich würdigte der Redner die Persönlichkeit Philipps des Großmütigen, der seinem Volke ein Leben der Pflicht und der Arbeit vorgelebt habe. Der Zahn der Zeit habe den zur Erinnerung an seine Heimkehr ins Land der Väter errichteten Stein fast vernichtet, aber nun sei er durch die Freunde der Heimat und der Geschichte erneuert worden und solle noch in fernen Tagen erzählen von der großen geschichtlichen Zeit des Hinterlandes und gleich zeitig ein Mahnmal an kommende Geschlechter sein zur Pflichterfüllung, zu unbeugsamen Willen und unentwegter Arbeit für die Zukunft unseres Volkes. „So werde ich denn diesen Stein,“ so fuhr der Kreisleiter fort, „als ein Gedächtnismal der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft“. Wir aber, die wir wieder hinausziehen, zu neuen Taten, wollen nicht ruhen und rasten, bis das große Ziel des Führers erreicht ist, Deutschland wieder stark und mächtig zu machen. Als Bollwerk gegen den Bolschewismus hat es gestanden und wird stehen in alle Ewigkeit.
Abschließend gedachte der Kreisleiter Thiele des Erneuerers des deutschen Volkes und forderte die anwesenden Volksgenossen auf, dem Führer erneut die Treue zu geloben. Die Menge leistete dieser Forderung Folge, indem sie begeistert einstimmte in das dreifache Sieg-Heil auf den Führer. Nationalhymnen gaben der Kundgebung den feierlichen Ausklang.
Die restlichen Stunden des Nachmittags waren dem zwanglosen Beisammensein vorbehalten, dessen Brennpunkt der Vergnügungspark war mit seinem Erfrischungszelten, zahlreichen Glücks- und Losbuden und nicht zuletzt dem Tanzboden, dem Dank dem Eifer und gediegenen Können unserer Arbeitsdienstmusikanten eine große Anziehungskraft ausübte. Andere freilich zogen es vor, auf den Gipfel des Staffelböll zu pilgern, um sich hier an der eigenartigen Schönheit eines der reizvollsten Punkte der heimischen Landschaft zu erheben und zu erfreuen.
Quelle Dill-Zeitung vom 10. Aug. 1936 Sep, Aufnahmen R. Schwarz

Bilder vom Hessischen Trachten- und Heimatfest 1936

Zwei Szenen aus dem Festspiel

 

Teilnehmer des Trachtenumzug, ganz links auf dem Foto ist Emmi Theiß ( Hirte)

 

Darsteller des Festspiels, von links: Rudolf, Marie und Erich Wagner (Kalenz)

 

Frauen in Simmersbacher Tracht um 1936 vor Scheuern

 

Teilnehmer des Trachtenumzugs  (links Scheuern, hinten rechts Mechels Scheune, in der Mitte das Dach von Alwartz)
Mit Erntekranz sind Anna Rein (Reins) und Amalie Klein (Kleins), daneben Herrmann Becker (Beckersch), Heinrich Geil (Iwels), Erna und Rosa Geil (Zrusemanns), Erna Müller (Weiels), dahinter Hertha Reh (Meuasch), Pauline und Hedwig Geil (Backersch). Ganz links Albert Müller (Owermellersch), hinter den beiden Frauen mit dem Erntekranz Erich Wagner (Kalenz), daneben Lina Müller (Weiels) und Anna Konrad aus Pennerschmanns

 

Trachtenumzug 1936
Das mit Schiefer beschlagene Haus ist Moates, dahinter Galziewe und ganz unten Borngehannams (Elternhaus von Erhard Michel)

 

 

Trachtenumzug durch die Gasse Richtung Dreieck, links sieht man Schreinersch Scheune mit dem angebauten Holzschuppen

 

Festrede bei der Einweihung des Philippssteines am 9. August 1936

Vor 26 Jahren, am 11. September 1910 wurde auf Anregungen des Maurers Heinrich Gail I: und des Zimmermanns Johannes Geil V. hier an der Stelle, wo am 10. September 1552 Landgraf Philipp der Großmütige zuerst hessischen Boden betrat, als er aus 5jährigen schweren Gefangenschaft zurückkehrte, ein bleibendes Denkmal in Gestalt des Philippsteines geschaffen.
Ein Mann soll und darf hier nicht vergessen werden, das ist Justizrat Büff in Kassel, der sich in echter treuer Hessenart so mit allen Fasern seines Herzens für die Errichtung des Philippsteins einsetzte, daß diese dadurch erst ermöglicht wurde. Der verstorbene Geheimrat Büff erließ Aufrufe in den hessischen Zeitungen, um die nötigen Gelder einzutreiben. Der damalige Bürgermeister des schmucken Dorfes, Herr Beck, anerkannte die Verdienste des Heimatfreundes und Geschichtsforschers Büff um das Denkmal mit den Worten:
„An erster Stelle gebührt unser Dank dem hochverehrten Herrn Geheimrat Büff aus Kassel. Sein Name wird in unserer Gemeinde mit dem Denkmal immerdar verbunden bleiben.“
Der Geschichtsverein des Kreises Biedenkopf unterstützte den Bau des Denkmals nach besten Kräften bis zur Vollendung. Und nun wenden wir uns 384 Jahre zurück, um die damalige Zeit aus sich heraus zu verstehen zu lernen und die Geschehnisse an unserem geistigen Auge vorüber ziehen zu lassen.
Landgraf Philipp der Großmütige (1518-1567), der Sohn des Landgrafen Wilhelm II. (des mittleren 1493-1509) hat von allen hessischen Landgrafen die größte Bedeutung für sein Land und die deutsche Geschichte gehabt. Keiner hat gleiches Ansehen und gleichen Einfluß unter seinen Zeitgenossen gefunden wie Philipp der Großmütige.
Die Regierung dieses größten aller Hessenfürsten fiel in eine entscheidungsvolle Zeit deutscher Geschichte und war von fast unlösbaren Schwierigkeiten sozialer, wirtschaftlicher, politischer und religiöser Art erfüllt. Gegensätze zwischen Bauern und Grundherren auf dem Lande, zwischen Zünften und Geschlechtern in den Ständen, zwischen Laien und Klerus, Reichsrittern und Fürsten, landesfürstlicher Freiheitsspekulation und straffer kaiserlicher Reichsgewalt erfüllten jene Epoche.
Dessen ungeachtet hatte Hessen unter ihm eine weit über seine Grenzen hinausragende Bedeutung, ja eine wahrhaft weltgeschichtliche Rolle zu spielen und erlebte durch die hervorragende Begabung seines Landesfürsten Philipp, seine seltene Entschlossenheit und feurige Tatkraft den Höhepunkt seiner Geschichte.
In den Familien der hessischen Landgrafen herrschte viel frommer Sinn, den man als ein Erbteil der hl. Elisabeth ansprechen darf. Umso größer war aber ihre Unzufriedenheit mit dem oft sittenlosen Leben der Klosterinsassen und deren Habsucht in den über 50 hessischen Klöstern. Trotzdem die Kirche in Hessen vor der Reformation infolge des Sieges Philipps, des Landgrafen von Hessen, über den Erzbischof von Mainz und die Wirren des päpstlichen Schismas, wie auch der Reformkonzile, viel von ihrem ungeheuren Einfluss in politischer, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht eingebüßt hatte, war ihre Bedeutung im Reichsleben noch sehr groß, und die geistlichen Sendgerichte untergruben immer wieder die geordnete bürgerliche Rechtspflege durch Übergriffe. Den Reformationsbegriffen stand Philipp anfänglich feindlich gegenüber, wozu der Einfluß seiner Mutter Anna und seines Schwiegervaters, des Herzogs Georg von Sachsen, viel beitrugen. Bis zur Mitte des Jahres 1524 duldete Philipp keine lutherischen Prediger im Lande. Plötzlich trat dann ein Umschwung ein. Den Grund für seine Umwandlung und freundliche Einstellung zur Lehre Luthers kennen wir heute noch nicht genau.
Bei seiner vollkommenen Selbständigkeit werden wohl sein eigenes Studium und überaus fleißiges Bibellesen den Umschwung veranlaßt und den Ausschlag gegeben haben.
Daß er aber nicht etwa die einzige treibende Kraft bei dem Eingange der Reformation in Hessen war, das bezeugen bis zu seinem persönlichen Übertritt (1525) die Marburger Beschwerdeartikel von 1525 und der lebhafte Widerstand gegen die kirchlichen Mißbräuche jener Zeit im ganzen Lande. Durch sein besonnenes Wesen, seinen Gerechtigkeitssinn und Klugheit bewirkte er aber, daß sich die neue Lehre nirgends so rasch ausbreitete, wie in Hessen und zwar auf friedsame Weise. Als erster von allen protestantischen Fürsten Deutschlands gewann der junge Hessenfürst die Erkenntnis, daß die religiöse Bewegung, wenn sie lebensfähig sein sollte, eine starke politische Organisation zu ihrem Schutze nötig habe.
So schloß er 1526 zu Gotha mit Kursachsen ein Bündnis zur Verteidigung der evangelischen Lehre. Gleichzeitig löste er sein Verhältnis zum „Schwäbischen Bund“ und suchte die reichen süddeutschen Städte in sein Bündnis zu ziehen.
Auf dem Reichstage zu Speyer 1526 half er den Reichstagsabschied durchbringen, wonach der Reichsstand sich „in Sachen Religion so verhalten sollte, wie er es vor Gott und Kaiserlischer Majestät zu verantworten getraue“. – Der Kampf ging weiter. Wie entschlossen er war, für seine Sache mit dem Schwert zu kämpfen, zeigt klar und eindeutig der sogenannte „Packsche Handel“. Als er infolge eines Betrügers, von Pack genannt, in den Glauben versetzt ward, die katholischen Stände in Breslau hätten ein Angriffsbündnis gegen ihn geschlossen. Rasch entschlossen veröffentlichte er seine Beweismittel, verständigte sich mit Sachsen und griff die unter den Gegnern genannten Erzbischöfe von Bamberg und Würzburg an. Als er seinen Irrtum einsah, zog er wieder ab, entließ von Pack und die Erzbischöfe mußten die Kriegskosten ersetzen.
Durch diese Tat gewann man Achtung vor ihm und lernte seine militärische Bereitschaft kennen.
Als der Reichstag zu Augsburg 1530 den Protestanten befahl, alle Neuerungen in der Religion abzuschaffen, schloß Philipp am 31.12.1530 den Schmalkaldischen Bund. Gestützt auf diesen und im Einverständnis mit König Franz I: von Frankreich (1515-1547), der ihn mit Geld unterstützte, konnte es der kühne Landgraf wagen, den vom Schwäbischen Bund und Österreich vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg, seinem Vetter, dem er schon mehrere Jahre in Hessen Zuflucht gewährt hatte, mit Waffengewalt in sein Land zurückzuführen. Dadurch sprengte er den Schwäbischen Bund, der die stärkste Stütze der kaiserlichen Parteien in Süddeutschland war.
So trieb er einen Keil in Österreichs Machtstellung in Süddeutschland und schuf der evangelischen Sache, der sich nun auch Württemberg unter Herzog Ulrich anschloß, einen starken Rückhalt und Ausgangspunkt in Süddeutschland.
Dr. Martin Luther hat diesen Kriegszug Philipps größte Tat genannt.
Seitdem wurde Philipp von seinem Volke mit dem Beinamen „Magnanimus“, das heißt der Hochgemute, Tapfere, kurz der Großmütige, geehrt. 1535 half er dem Bischof von Münster, seine von Widertäufern (Anabaptisten) besetzte Stadt zurückerobern. Auch in seinem Land bekämpfte er diese Sekte. Legte aber allen Nachdruck auf die „geistige Überwindung“ der Irrenden.
Hessische Landsknechte fochten bei Pavia 1525 (In der Schlacht von Pavia am 24. 2. 1525 wurde Franz I. von Frankreich von dem kaiserlichen Befehlshaber Fernando Francesco d’Avalos, Marchese di Pescara gefangen genommen) und halfen Rom zu stürmen. Trotz seines Widerstandes gegen Karl V. (* 24. Februar 1500 in Gent; † 21. September 1558 im Kloster San Jerónimo de Yuste, aus dem Hause Habsburg war von 1516 an König Karl I. von Spanien. Er wurde im Jahre 1519 zum römisch-deutschen König gewählt; nach seiner Krönung im Jahre 1520 nannte er sich „erwählter“ Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Im Jahre 1530 wurde er offiziell, als letzter römisch-deutscher Herrscher, durch Papst Clemens VII. in Bologna zum Kaiser gekrönt. Am 23. August 1556 verzichtete er zugunsten seines Sohnes Philipp II. auf den spanischen Thron und zugunsten seines Bruders Ferdinand I. auf die Kaiserwürde)in Sachen der Religion und dessen Hauspolitik war Philipp aber durchaus bereit, ihm in Sachen des Reiches gehorsam zu sein – ja er bot ihm mehrfach seine Dienste an und leistete ihm gegen äußere Feinde, wie zum Beispiel gegen die Türken, Hilfe.
Am 24.2.1530 wurde zu Bologna Karl V. vom Papst Clemens VII. zum deutschen Kaiser gekrönt. Es war einer der Augenblicke seines Lebens, das sonst sehr wechselreich war, da er nun hoffen durfte, sein Ziel zu erreichen. Ja, die Machtstellung des Kaisers war so gewaltig, wie kaum eines seiner Vorgänger. Als Herr von Spanien, Neapel, Sizilien besaß er den ganzen Handel im Mittelmeer. In dem vor einem Menschenalter entdeckten Erdteil Amerika waren verwegene Conquistadoren (Eroberer, wird als Begriff für die Soldaten, Entdecker und Abenteurer benutzt, die Nord- und Südamerika als spanische Kolonien in Besitz nahmen.) tätig, um in seinem Namen ungeheure Gebiete der spanischen Herrschaft einzuverleiben. Die Niederlandegehörtem ihm und damit die reichen Stapelplätze Ostindiens. Der Habsburgische Hausbesitz war durch Erwerbung Böhmens, Mährens, der Lausitz und Ungarns bedeutend vergrößert. Dazu kamen Erfolge in den Kriegen. Frankreich hatte Frieden schließen müssen, und die Türken, der alte drohende Feind im Osten, war zurückgeworfen.
Die Weltstellung des Kaisers mußte in der Tat dazu dienen, die Protestanten in Deutschland niederzuwerfen und die katholische Kirche wieder herzustellen. Zwar stellte der Kaiser dem Landgrafen Philipp zum Reichstage zu Regensburg 1541 ausgedehnte Geleitbriefe und Friedensversicherungen für die Häupter des evangelischen Bundes aus, doch sah er in Philipp die Seele des Widerstandes. Als der Landgraf mit seinen 300 schwer bewaffneten Reitern in Regensburg einzog, und auf seinem hirschfarbenen, drohend wiehernden Roß unter lautem Schall der Trompeten überall Staunen erweckte, rief der Kaiser – hinter einem Erker seiner Herberge zuschauend in seiner belgischen Mundart: „We de Gaul, so de Mann.“
Dieses Wort deutet darauf hin, daß er den Landgrafen besonders in sein Herz geschlossen hatte. Philipp blieb der evangelischen Sache Treu und lehnte in ritterlicher Weise auch das kaiserliche Anerbieten eines Hauptkommandos gegen Frankreich ab.
In dem Schmalkaldischen Bund war nun dem Kaiser ein Gegner entstanden, den niederzuwerfen seine vornehmste Aufgabe war.
Daß ihm das erst nach einem halben Menschenalter gelang, und das auch nur noch teilweise, lag an den Verwicklungen der äußeren Politik.
Solange Karl V. die Hilfe der Protestanten für seine auswärtigen Kriege brauchte, stand er mit ihnen auf freundlichem Fuße. Sobald er jedoch eine Erleichterung verspürte, zeigte er ihnen sein wahres Gesicht. Als die Protestanten sich weigerten, das von Papst Paul III: 1545 nach Trient ausgeschriebene Konzil zu beschicken, nahm der Streitfall schon einen ernsteren Charakter an.
Jetzt reifte in Karl V. der Entschluß, die Ketzer mit Waffengewalt niederzuwerfen. Mit echt spanischer Politik bereitete er diesen Angriff vor. Zwar gelang es ihm nicht, die oberdeutschen Städte vom Bund zu trennen, doch erreichte er, daß – unter diesen war auch Herzog Moritz von Sachsen (* 21. März 1521 in Freiberg; † 11. Juli 1553 bei Sievershausen, heiratete am 9. Januar 1541 Agnes von Hessen * 31. Mai 1527 in Marburg; † 4. November 1555 in Weimar) – neutral blieben oder auf seine Seite übertraten.
Noch waren die Rüstungen des Kaisers nicht beendet, als der Bund bereits mit einem schlagfertigen Heere in Süddeutschland stand. Bei einer tatkräftigen Kriegsführung hätte Karl V. erliegen müssen, aber durch den Mangel an einheitlicher Leitung verursachten Fehler ließen ihm Zeit, seine Truppen zurückzuziehen und zur Offensive überzugehen.
Die Entscheidung brachte der Einfall des Herzogs Moritz von Sachsen in das Gebiet seines Vetters. Daraufhin sah sich Johann Friedrich veranlaßt, seine Stellung aufzugeben, um seine Erblande wieder zu erobern.
Mit ihm verließ auch Philipp der Großmütige das Lager in Singen und kehrte mit nur 200 Reitern nach Hessen zurück. Nun war alle Kampfesfreudigkeit dahin. Ringsum aber lauerten feinde. Philipp hielt sogar seinen Adel nicht mehr für treu. In planlosen Entschlüssen schwankte der sonst so entschlossene Landgraf hin und her; er war lediglich darauf bedacht, seinen Frieden mit Kaiser Karl V. zu machen. Je mehr letztere die Ratlosigkeit seines Gegners erkannte, desto energischer trat er auf.
Der unglückliche Ausgang der Schlacht bei Mühlberg (1) am 25.4.1547 gegen den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen brachte dem Kaiser das Haupt des Widerstandes in Nord-deutschland in die Hände. Bei seiner Niederlage und Gefangennahme sagte er: „Nun bin ich hier, nun erbarme dich mein, du getreuer Gott.“
(1) In der Schlacht bei Mühlberg (auch als Schlacht auf der Lochauer Heide bekannt) besiegte das Heer Kaiser Karls V. am 24. April 1547 die Truppen des Schmalkaldischen Bundes. Der Führer der Protestanten, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, geriet in Gefangenschaft. Damit war der Schmalkaldische Krieg für den Kaiser gewonnen. Die Wittenberger Kapitulation beendete am 19. Mai 1547 den Schmalkaldischen Krieg.
Die kaiserliche Besatzung zog in die Festung Wittenberg ein. Nun konnte der Kaiser seine ganze Aufmerksamkeit auf den zweiten Feind richten, der noch übrig war, den Landgrafen Philipp von Hessen.
Vom ersten Augenblick an faßte der Kaiser den Entschluß, sich entweder seiner Person zu bemächtigen oder ihn aus seinem Lande zu verjagen. Das Glück der Mühlberger Schlacht bestärkte ihn in der ersten Absicht. – Als Meister Lukas Kranach den Kaiser, den er in seiner Jugend gemalt und der ihn sehr gnädig empfing, im Lager vor Wittenberg um Gnade für seinen gefangenen Herrn bat, ließ Karl V. sich vernehmen, an dem liege nicht so viel, wenn er nur den anderen auch hätte!
An die Verhandlungen über den Ausgleich zwischen dem Kaiser und dem Landgrafen Philipp lassen sich zwei Fragen knüpfen:
1. Wußten die beiden vermittelnden Kurfürsten, nämlich Joachim II. von Brandenburg
(* 13. Januar 1505 in Cölln an der Spree; † 3. Januar 1571 in Köpenick, aus dem Geschlecht der Hohenzollern war von 1535 bis 1571 Kurfürst von Brandenburg) und Moritz von Sachsen, daß der Kaiser trotz der bereits mit Landgraf Philipp abgeschlossenen Kapitulation noch dazu freie Hand behielt, Philipp den Großmütigen gefangen zu setzen, oder hielten sie das für unmöglich?
2. Hat sich die kaiserliche Politik hier eines ungeheuerlichen Wortbruchs schuldig gemacht?
Bevor sich die Häupter des Schmalkaldischen Bundes am 23. November 1546 zu Singen voneinander trennten, hatte Philipp bereits versucht, durch den Markgrafen Johann von Küstrin Verhandlungen mit dem Kaiser anzuknüpfen. Dieser Versuch jedoch scheiterte jedoch an der Forderung Karls V. Ergebung auf Gnade oder Ungnade. Auch traute man dem Landgrafen in des Kaisers Umgebung nicht.
Nach diesem mißglückten Versuch schrieb Philipp an seinen Schwiegersohn Moritz von Sachsen und bat um eine Zusammenkunft. Moritz sandte ihm freies Geleit und lud ihn nach Leipzig ein. Moritz hatte König Ferdinand von Böhmen (* 10. März 1503 in Alcalá de Henares bei Madrid; † 25. Juli 1564 in Wien) aus dem Geschlecht der Habsburger war von 1558 bis 1564 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Seit 1521 Erzherzog von Österreich und ab 1526/1527 König von Böhmen, Kroatien und Ungarn. Bereits zu Lebzeiten seines Bruders, des Kaisers Karl V., wurde er 1531 zum römisch-deutschen König gewählt), des Kaisers Bruder, schon in Prag besucht und gebeten, die Vermittlung zwischen Karl V. und Philipp zu übernehmen. Philipp sollte Karl in allen Dingen Gehorsam versprechen, doch unter dem Vorbehalt, daß in Religionssachen sein Gewissen nicht beschwert werde. Er habe den Krieg nur der Religion wegen unternommen, derselbe sei nicht gegen den Kaiser gerichtet gewesen. Nach Ablauf des bestehenden Vertrages wolle er nicht wieder dem Schmalkaldischen Bund (war ein am 27. Februar 1531in Schmalkalden geschlossenes Verteidigungsbündnis protestantischer Fürsten und Städte unter Führung von Kursachsen und Hessen gegen die Religionspolitik des Kaisers Karl V.) beitreten.
Philipp hatte im allgemeinen gegen diese Artikel nichts einzuwenden, nur daß er seine Sache von der seines Bundes genossen, des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, abtrennen sollte, hielt er für eine unerträgliche Zumutung. Deshalb sandte er nochmal seinen Gesandten Heinrich Lersner (* 1506 in Marburg; † 1576, diente von 1550 bis 1560 Landgraf Philipp I. und von 1567 bis 1569 Landgraf Ludwig IV. als Kanzler) nach Sachsen zu seinem Schwiegersohne Moritz, jedoch dieser lehnte jede Unterhandlung zu Gunsten seines Vetters Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen ab. Er sandte Dr. Komerstadt nach Prag, um bei Ferdinand zu erforschen, was auf Grund des erwähnten Entwurfs beim Kaiser zu erlangen sei. Dieser schrieb umgehend an Moritz, die Bedingungen müßten genauer gefaßt werden; der Kaiser werde jeden für einen Narren halten, der ihm solche Angebote mache. Sicherlich werde er Verlangen:
Ergebung auf Gnade oder Ungnade, Räumung der hessischen Festungen, Zahlung einer angemessenen Kriegsentschädigung, Fußfall und Abbitte.
Philipp sandte seinen Kanzler zum dritten Mal, um die Bedingungen zu mildern. Es wurde zwischen dem sächsischen Rat Türk und dem hessischen Gesandten ein neuer Entwurf ausgearbeitet. Um diesen Beitrag sicher zu stellen, sollte Philipp einige Festungen übergeben und seine Söhne Karl V. als Geisel stellen. Lersner trieb nun zur Eile, damit Moritz mit König Ferdinand verhandeln könne. Doch der Landgraf wich jeder bindenden Erklärung aus. Trotzdem verhandelte Moritz mit König Ferdinand, hierbei kam es bisweilen zu einem „teuflischen Streit.“ Schließlich einigte man sich. Trotz allen Drängens konnte man Philipp den Großmütigen nicht bewegen, diese Artikel anzunehmen. Erst auf die Nachricht hin, daß Karl V. nach Norddeutschland komme, ließ er sich zum Nachgeben bewegen.
Bereits am 3. März 1547 hatte Ferdinand einen Brief vom Kaiser in den Händen, jedoch teilte er Moritz von Sachsen des Kaisers Willen nicht mit, nur um Philipp den Großmütigen hinzuhalten, daß dieser sich nicht zu einem gemeinsamen Kampfe hinreißen ließ.
Schon auf diesen Betrug ging Karl V. ein. Daraus erleuchtet klar und unzweideutig, daß die Politik des Kaisers eine unehrliche und nicht offene war. Während Philipp alles tat, soweit es Ehre und Gewissen zuließen, um den Kaiser zufrieden zu stellen, ist dieser hinterlistig, verschlagen und falsch.
Philipp mahnte seinen Schwiegersohn, er solle sich bei den Worten „Gnade und Ungnade“ sehr wohl vorsehen.
Der Herzog Moritz war nun fleißig tätig, seinem Schwiegervater zu helfen und geriet dabei wiederholt mit König Ferdinand in einen „teuflischen Streit“, ja er war genötigt gewesen, „grobe Säue“ zurückzugeben.
Als Moritz von Sachsen und Kurfürst Joachim von Brandenburg die Vereinbarungen dem Kaiser vorlegten, erklärte dieser, nimmermehr auf derartige Anerbietungen einzugehen zu wollen.
Als Moritz diesen hartnäckigen und eigensinnigen Bescheid des Kaisers nach Leipzig brachte, traf er Philipp in kriegerischer Stimmung. Der Landgraf wollte von keiner Verhandlung mehr etwas hören; er beschloß, in sein Land zurückzukehren. Sogleich brach er von Leipzig auf und übernachtete in Weißenfels. Die Nachricht von dem Siege Christophs von Oldenburg (*1504; † 4. August 1566, deutscher Feldherr) über Erich von Braunschweig (* 1478; † 14. Mai 1532 in Fürstenau, von 1508 bis 1532 Fürstbischof von Paderborn und Osnabrück und im Jahr 1532 gewählter Bischof von Münster) bei Drakenburg (am 23. Mai 1547 nördlich von Nienburg/Weser besiegte das protestantische Heer des Schmalkaldischen Bundes die kaiserlichen Truppen) bestärkte noch sein Vorhaben.
Jedoch stimmten ihn die verwüsteten Fluren um, die sich ihm darboten, als er am Morgen weiterzog.
Philipp sagte zu dem ihn begleitenden Rat Nikolaus Ebeleben (*zwischen 1512 und 1515 in Ebeleben, †1579 in Merseburg, 1550-1553 in diplomatischen Diensten des Kurfürsten Moritz): Er bemitleide seine Untertanen. Wenn er wüßte, daß die Ergebung auf Gnade oder Ungnade nur Fußfall und Abbitte bedeuten, dann wolle er sich nicht weigern, zumal es andere Fürsten auch getan hätten; auch wolle er seine Festungen schleifen lassen, wenn ihm nur Geschütz und Munition verbleibe. Hierauf erklärte Rat Ebeleben, er wolle zu seinem Herrn, dem Herzog Moritz, zurückreiten und ihm des Landgrafen Absicht mitteilen. Philipp ging darauf ein und zog nach Kassel.
Sofort begab sich nun Moritz mit Joachim von Brandenburg zum Bischof von Arras (Antoine Perrenot de Granvelle, * 20. August 1517 in Besançon; † 21. September 1586 in Vallecas bei Madrid), um Wiederaufnahme der Verhandlungen zu beauftragen. Anfangs wies Granvelle diesen Vorschlag entrüstet ab. Erst auf die Zusicherung einer „stattlichen Verehrung“ hin ließ er sich umstimmen. Die Verhandlungen dauerten vom 2. Bis 4. Juni 1547. Vor allem verlangten Moritz und Joachim eine Erklärung des Kaisers über die Ergebung „auf Gnade und Ungnade“.
Es kam ihnen darauf an, Philipp sowohl vor jeder Leibesstrafe als auch vor jedem Gefängnis zu bewahren.
Aber im Lager von Wittenberg waren bereits von den kaiserlichen Räten die Schlingen gelegt, womit man den Landgrafen um jeden Preis dem Kaiser in die Hände liefern wollte. Man ersann das Mittel einer geheimen Verhandlung zwischen dem jüngeren Granvelle, Bischof von Arras, und den beiden Kürfürsten, worin festgesetzt wurde, daß zwar der Landgraf sich frei und schlecht auf ihn zuzusendende Kapitulation ergeben, daß ihm aber diese Ergebung weder zu Leibesstrafe noch zu „einiger Gefängnis“ gereichen sollte.
Dieser ungewöhnliche Ausdruck trug den Keim eines in der Geschichte beispiellosen Betruges in sich, den der Spanier Karl V. seinem Staatsminister auf Kosten der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen und des unglücklichen Reichsfürsten Philipp zu spielen erlaubte. Letzterer glaubte vertrauensvoll dem gegebenen Wort des Kaisers und wurde Opfer seiner „Teutschen Treue, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit“.
Und nun geschieht das Unglaublichste, was die Geschichte unserer deutschen Nation an Verrat und Hinterlist, gemeiner Feigheit und Betrug nicht noch einmal aufzuweisen hat. Nur des Helden Sigfrieds Schicksal ist eine Parallele dazu zu setzen. Bei einem Morgenimbiß, wobei die beiden Kurfürsten bis zur Trunkenheit berauscht waren; so verriet später der Reichs-Vizekanzler Georg Sigmund Seld (* 21. Januar 1516 in Augsburg; † 26. Mai 1565 in Wien, von 1559–1563 Reichsvizekanzler); unterzeichneten diese beiden jene geheime Nebenabmachung (Punktation, im deutschen Rechtswesen eine Auslegungsregel, wonach selbst eine schriftliche Einigung über bestimmte Vertragsbestandteile im Zweifel nicht bindend ist, solange andere Vertragsbestandteile noch offen sind), in welcher das Wort „einiger“ in „ewiger“ verwandelt worden war.
Sie blieb in den Händen des Kaisers, der sich späterhin beständig darauf berief und wurde den betrogenen Kurfürsten nicht eher wieder vorgezeigt, bis Landgraf Philipp gefangen war.
Auch stellten die Fürsten nun ein freies Geleit für Philipp aus, nachdem er „frei, ehrlich, sicher und ungefährlich“ reisen konnte. Hiervon wußte weder Kaiser noch Granvelle etwas. Die beiden Fürsten handelten auf eigene Verantwortung und übernahmen damit eine Verpflichtung, die sie vielleicht nicht erfüllen konnten.
An einer warnenden Stimme fehlte es nicht. Der sächsische Rat Ebeleben sagte zu ihnen: “Ir herren, ir herren, ir verpflicht euch viel, seht, daß ihr der sachen gewiß seiet“.
Am 9. Juni 1547 brach Moritz nach Halle auf und erreichte die Stadt am 10. Juni. Am folgenden Tage hatte Moritz eine Besprechu8ng mit dem Bischof von Arras über die neuesten Abänderungsvorschläge seines Schwiegervaters. Granvelle legte diese dann dem Kaiser vor. Aus Karls V. Erklärung konnte man seine Absicht, sich der Person Philipps zu bemächtigen, deutlich erkennen. Einige wurden abgelehnt, andere angenommen. Etliche überging der falsche Herrscher mit Stillschweigen, darunter auch jene Bitte, nicht länger als 8 Tage am kaiserlichen Hofe aufgehalten zu werden.
Am 18. Juni 1547 wurde in Halle, wo Karl V. ein Hoflager hatte, gemeldet, daß Landgraf Philipp unterwegs sei. Zwischen dem Herzog Moritz von Sachsen, der nun Kurfürst (1547) geworden war, und Joachim II. von Brandenburg reitend, zog Philipp am 18. Juni nachmittags in Halle mit 100 hessischen Reitern ein.
Unterdessen nahte der Abend. Der Kaiser hatte sich in einem prächtig ausgeschmückten Saal begeben und zur Demütigung des Landgrafen eine große Versammlung entboten: Erzherzog Maximilian (* 31. Juli 1527 in Wien; † 12. Oktober 1576 in Regensburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Erzherzog von Österreich von 1564 bis 1576), Erich und den soeben entlassenen Heinrich von Braunschweig (* 10. November 1489 in Wolfenbüttel; † 11. Juni 1568 ebenda, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel), Philibert von Savoyen (* 8. Juli 1528 in Chambéry; † 30. August 1580 in Turin, 1553 bis 1580 Herzog von Savoyen), den Deutschmeister, die Bischöfe von Hildesheim und Naumburg, die päpstlichen, böhmischen, dänischen, clevischen und einiger Hansestädte Gesandte, viele Herren von Adel usw. Der Kaiser saß unter einem vergoldeten Thronhimmel.
Der Landgraf, nachdem er in scheinbarer Heiterkeit mit seinen beiden Begleitern gesprochen hatte, setzte sich auf die Knie, neben ihn auf denselben Teppich sein Kanzler Thielemann von Günderrode (1512-1550), welcher die vorgeschriebene demütige Abbitte vorlas.
Langsam und mit Referenzen gegen den Kaiser verkündigte Reichsvizekanzler Seld die Verzeihung des Kaisers, worin zum ersten mal öfter die Worte vorkamen, daß der Kaiser den Landgrafen weder mit ewiger Gefängnis noch mit Beschlagnahmung seiner Güter und Entsetzung beschweren wolle. Diese Worte hatte der Landgraf im Getümmel entweder überhört, oder war auf der Stelle nicht gefaßt zu antworten. Alsdann dankte er durch seinen Kanzler und stand endlich ungeheißen auf und nahte dem Kaiser, von ihm die Hand zu empfangen.
Kurfürst Joachim, der den Kaiser vorher befragt hatte, stellte sich verweigernd vor ihn. Des Landgrafen Hand ergriff der Herzog von Alba (* 29. Oktober 1507 in Piedrahíta; † 11. Dezember 1582 in Lissabon), spanischer Edelmann, Feldherr und Staatsmann im Dienste des Kaisers und spanischen Königs Karls V. und seines Sohnes, des spanischen Königs Philipps II.), in dessen Herberge er mit den beiden Kurfürsten zu Abend speisen sollte.
Als man sich nach der Mahlzeit in die Gemächer verstreute, teilte Alba den beiden Kurfürsten mit, daß er auf kaiserlichen Befehl hin den Landgrafen in Gewahrsam nehmen müsse.
Sofort erhoben diese Einspruch gegen dieses Vorhaben. So hätten sie das nie verstanden, daß Philipp als Gefangener am Hofe zurückgehalten werde. Noch in der Nacht wollten sie sich an den Kaiser wenden; nur mit Rücksicht auf die späte Stunde gaben sie diese Absicht auf. Die kaiserlichen Räte machten dagegen geltend, daß in den geheimen Nebenerklärungen am 2. Juni „perpetuelle prison“(Lebenslänglich Gefängnis) gestanden habe und daß Kaiser Karl V. also vollkommen im Recht sei, wenn er Philipp in Haft nehmen lasse.
Philipp, nichts Gutes ahnend, hatte schon bei der Abendmahlzeit gesagt: Dies ist die Judas-Mahlzeit. Kurz danach erschien ein spanischer Hauptmann mit hundert Arquebusiers. In dem bewachten Gemach verharrten Moritz und die brandenburgischen Räte bis zum Morgen. Da erhielten die betrogenen Kurfürsten vom Kaiser die Antwort: „Er sei nicht gewohnt, jemanden über die Kapitulation zu beschweren und habe nie die versprochen, daß der Landgraf nicht mit „einiger“ – sondern nur nicht mit „ewiger“ Gefängnis belegt werden solle.“
Wenn Philipp nicht zufrieden wäre, setzte Arras hinzu, möge er wieder heim reiten. Als dieser hierzu bereit war, erfuhr man, daß er geleitlos und wegen der noch nicht aufgehobenen Acht „vogelfrei“ sei.
Vergebens erklärten Moritz und Joachim dem Herzog von Alba, daß ein solches Verfahren bei „redlichen Deutschen“ für ein „Bösewichts-Stück“ gehalten würde. Vergebens zückte der Kurfürst von Brandenburg seinen Degen, um den verschmitzten Bischof von Arras durch den Kopf zu hauen. Man hielt ihm die geheime Punktation vor.
Fast mit Gewalt mußte Landgraf Philipp von Halle weggezogen werden, wobei ihm Moritz und Joachim gelebten, nicht eher vom kaiserlichen Hof zu weichen, bis er frei sei. Den beiden Fürsten verbot der Kaiser aber unter Drohung, er würde den Landgrafen nach Spanien führen – weiter mit ihm zu ziehen. Sie vertrösteten Philipp den Großmütigen, die Acht wurde aufgehoben und – obschon der Landgraf mit unglaublicher Schnelligkeit die Geldzahlungen leistete, die Bürgschaften stellte und fast alle Artikel der Kapitulation erfüllte, blieb er gefangen.
Ebeleben und Günderrode starben vor Gram.
Es ist nicht zu leugnen, und die beiden Kurfürsten haben das auch später zugegeben, daß der Kaiser nach dem Wortlaut der geheimen Nebenartikel berechtigt war, den Landgrafen Philipp in Haft zu nehmen. Mit seiner Erklärung Philipp gegenüber stand sein Tun aber im schreienden Gegensatze. Auch Moritz und Joachim gegenüber befand er sich moralisch im Unrecht.
Er mußte es wissen, daß den beiden Vermittlern vor allen Dingen daran lag, Philipp die persönliche Freiheit zu sichern. Manche Artikel der Kapitulation setzen auch geradezu einen freien Mann voraus und keinen seiner Freiheit beraubten. Denn, wie sollte sich der Landgraf dem Kaiser gegenüber dankbar erzeigen, wenn er gefangen gehalten würde, oder, wie konnte er unter diesem Zustande Bündnisse mit jemand schließen?
Der Kaiser hat die vermittelnden Fürsten hinters Licht geführt, ihnen seine wahren Absichten verschleiert, nur um den verhaßtesten seiner Feinde endlich in seine Gewalt zu bekommen.
Die Kurfürsten schlugen nun vor, an Stelle des Landgrafen dessen ältesten Sohn neben den hessischen Räten und Ständen als Geisel zu nehmen. Ja, Joachim erbot sich sogar, seinen eigenen Sohn als Geißel zu stellen. Karl V. wies jedoch alle Vorschläge ab. Eine nochmalige Audienz beim Kaiser brachte erneute Versprechungen desselben, so daß sie fest überzeugt waren, daß die Haft des Landgrafen mit dem Tage beendet sein würde, an dem er den hauptsächlichen Verpflichtungen nachgekommen wäre. Doch weit gefehlt. Um die Kurfürsten zu beruhigen, die sich in ihrer Ehre so sehr geschmälert sahen, gab er ihnen Versprechen, die zu brechen er schon im gleichen Augenblicke schon entschlossen war! Der Kaiser erscheint auf dem Gipfel seiner Macht. Aber der gewaltigen Erhebung, die er mißbrauchte, folgte ein umso höherer Sturz in die Tiefe. Die dauernde Gefangenenhaltung des Landgrafen und andere Maßregeln beleidigen die Ehre des deutschen Fürstenstandes.
Mit denselben Mitteln verschlagener spanischer Politik, die Karl V. Philipp von Hessen gegenüber angewandt hatte, wurde auch von seinem gelehrigen Schüler – dem er in erster Linie die Erfolge des Schmalkaldischen Krieges verdankte – überlistet, überrascht und überwältigt. Durch die Gefangenschaft seines Schwiegervaters erbittert, fiel Moritz vom Kaiser Karl ab, wenn letzterer auch glaubte, ihn durch Übertragung der Kurwürde ewig an sich gefesselt zu haben.
Philipp der Großmütige wurde während des bewaffneten Reichtages zu Augsburg 1548 über Bamberg, Schwabach nach Donauwörth über Heilbronn und Speyer nach Oudenwarde und später in schmählichem Aufzuge nach Mecheln geführt.
Einen sehr interessanten Bericht (3. Hinterländer Geschichtsblätter Jahrgang 1854, Seite 384) über seine Behandlung daselbst gibt der Schweizer Pfarrer Josua Maaler (* 15. Juni 1529 in Zürich; † 5. Juni 1599 Glattfelden, Schweiz) in Band 6 der Bekenntnisse merkwürdiger Männer (Winterthur 1810, Seite 254). Im Jahre 1549 unternahm er eine Reise durch Frankreich und England und dann durch die Niederlande. Im August kam er von Antwerpen nach Mecheln. Er schreibt unter anderem: Der fromme Fürst ward dermaßen streng verwahrt, daß ihm keine einzige Deutsche oder Oberländische Person zugelassen ward. Sondern 200 auserkorene Spanier, alte Soldaten, haben ihn bei Tag und Nacht bewacht. Bei der Ablösung einer Wache sah der fromm-deutsche Fürst zu, fragte nach der Zeit und erhielt die gewünschte Antwort. Die Soldaten, welche gut gekleidet waren, konnten ihm zwar nicht viel Reverenz erweisen. Die Knechte aber, welche alle „sammatine Paretlis“ auf hatten, zogen dieses ab.
Über fünf Jahre war Philipp der Großmütige von seinen treuen Volke, seinem Lande und seiner Familie getrennt gewesen. Trotz aller Härten und Unbill, die er während dieser langen Zeit zu ertragen hatte, bleibt er seinem Glauben treu und wird immer stärker darin. Sein Ausspruch: „Eher will ich von Land und Leuten, von Leib und Leben lassen, denn Gottes Wort weichen“ ist hierfür das beste Zeugnis. Er bewahrte sich hinter den Gefängnismauern seine Hoffnung auf den Sieg des Rechtes. Und so tat er auch in seiner Bibel das Wort: „ Hoffnung läßt nicht zu schanden werden“ mit einem Rotstift dick unterstrichen. Daß er die Bibel überhaupt fleißig gelesen hat, bezeugen die vielen Anmerkungen mit dem Rotstift. Dieses Dokument liegt in der Landesbibliothek des Landes-Museums in Kassel. Ich habe sie lange betrachtet, als mir im vergangenen Jahre die Möglichkeit dazu gegeben war.
In Philipps Grab stand ich vor vier Wochen in der prächtigen Martinskirche und dachte über das wechselvolle Schicksal des bedeutenden Fürsten in aller Stille nach. „Fürsten sind Menschen vom Weib geboren und kehren um zu ihrem Staub. Ihre Anschläg sind auch verloren, wenn nun das Grab nimmt seinen Raub“.
Die Gefangenschaft Philipps und ihre Geschichte, die zugleich die der fünfjährigen Knechtschaft des Reiches ist, erfüllt uns mit Unwillen über des Kaisers und seiner finsteren Ratgeber. Halsstarrigkeit, mit Ehrfurcht und Mitleid gegen den Landgrafen und mit Liebe und Achtung gegen seine Gemahlin Christine, gegen seine treuen Räte, wie auch gegen seine Untertanen!
Welche Bewunderung verdient die große unermüdliche Tätigkeit in den ersten 3 Jahren seiner Gefangenschaft, während der er aus dem Gefängnis sein Land regierte. In unzähligen Schreiben traf er Entscheidungen zum Wohle seines Landes, gab seinen Söhnen Lehren der Weisheit und Frömmigkeit und arbeitete an seiner Befreiung rastlos weiter.
Die uneigennützige, liebevolle Aufopferung seiner treuen rechtmäßigen Gemahlin Christina, welche nach der rührendsten zweimaligen Demütigung zu den Füßen des Kaisers, endlich dem Grame der verzehrenden Sehnsucht nach ihrem verbannten Gemahl unterlag, zieht uns noch heute in ihren Bann.
Die liebevolle, gehorsame Todesverachtung all der Hessen mit Hans Rommel an der Spitze, und Conrad Breidenstein, die in ihrer Liebe zum Landesvater an eine Rettung aus dem Gefängnis dachten, der eiserne Heldenmut des Festungskommandanten von Ziegenhain, Heinze von Lüder, der den Angriff des kaiserlichen Feldherrn Reinhard von Solms mit Kanonen zurückwies und dem aufgebrachten Vorwande eines landgräflichen Befehls gegenüberstellte: „ sein Herr habe ihm die Feste als ein freier Reichsfürst übergeben, nur diesem werde er sie wiedergeben“, sie alle sind Beispiele treuester Anhänglichkeit, Liebe und Tapferkeit für den Landgrafen.
Der Historiker Hartmann behauptet: Konrad Breidenstein sei aus dem adligen Geschlecht unserer engeren Heimat gewesen und hat „Heuter“ auf seiner Seite.
Da Sleidan, Günterrode und Thuan ihn für keinen Adeligen erklären, Landgraf Philipp ihn jedoch nach seiner Rückkehr am 27.5.1557 mit dem Hofe Roßbach belehnte mit Rücksicht auf seine erwiesene Treue, und alle Lehnsbriefe damit übereinstimmen. So ist die Wahrscheinlichkeit für die ausgesprochene Annahme groß.
Philipp gewann kurz vor dem mißglückten Befreiungsversuche einen spanischen Soldaten für seine Fluchtpläne. Da aber die Sache zu früh offenbar wurde, mußte der arme Soldat sein Vorhaben mit dem Tode büßen. Philipp der Große mußte es aus dem Fenster mit ansehen, wie auf der Brücke neben seinem Gefängnis der Soldat auf grausame Weise sein Leben verlor. – Konrad Breidenstein und Hans Rommel beschlossen daraufhin die Befreiung ihres Landesvaters durchzuführen. Man verschaffte ihm Postpferde von Mecheln bis auf die hessische Grenze. Der Landgraf sollte durch ein Pförtchen der Stadtmauer – Blocpoort genannt – das zum Garten des Gefängnisses gehörte, entweichen. Vielleicht wäre auch die Flucht – da der Garten nicht weit vom Tor „Neckerspaul“ entfernt lag, geglückt, wenn nicht einer von den Bedienten des Landgrafen dabei einen unvergeßlichen Fehler begangen hätte, das Geheimnis einer Person in Mecheln zu verraten, so daß dessen Weiterverbreitung eine halbe Stunde vor der Ausführung dem Hauptmann der Wache zu Ohren kam.
Sofort ergriffene Maßregeln vereitelten den gesponnenen Plan. Zwei der Bedienten wurden daraufhin sofort erstochen, andere verloren ihre Freiheit und wurden später auch noch hingerichtet, indem man sie mit den Füßen aufhängte. Einigen glückte es, die Freiheit wieder zu erlangen. Unter ihnen befand sich auch Konrad Breidenstein.
Der Landgraf wurde daraufhin immer härter behandelt. Seine Gefängniszelle maß hinfort nur noch 3 1/3 Meter, auf 8 Monate hindurch wurden die Fenster vernagelt. Er durfte keine Briefe mehr fortsenden. Ja, man jagte einen Spanier, der dem Landgrafen behilflich gewesen war, einen Brief durchzuschmuggeln, durch die Spieße.
1551 ließ sich Karl V. dazu verleiten und sprach dem Grafen von Nassau die Grafschaft Dietz zu, auf die Hessen rechtmäßig Anspruch hatte. So bog der spanische Kaiser das Recht in deutschen Landen! Schrankenlose Willkür herrschte, wo das Recht walten sollte.
Die Gesandten Kursachsens und Kurbrandenburgs wurden im Dezember 1551 zu Innsbruck noch einmal beim Kaiser wegen der Freilassung Philipps vorstellig. Allein leere Vertröstungen waren die Antwort.
Am 1. März 1552 suchte Kurfürst Moritz von Sachsen noch einmal in dringender Weise um die Losgabe seines Schwiegervaters nach, ohne wiederum etwas auszurichten.
Der kaiserliche Rat Böcklein brachte die leere Vertröstung vor: „Es könnte einmal geschehen“. Jetzt war Moritz zum Kriege gegen den Kaiser entschlossen, von den ihn aber die sächsischen Landstände mit dem Hinweis auf Philipps traurige Lage abzuhalten suchten. Ja, selbst Philipp Melanchton riet dem Kurfürsten, von seinem Vorhaben abzulassen.
Jedoch Moritz dachte anders. Im Bündnis mit Frankreich, Kurhessen, Brandenburg, Nürnberg und anderen wurde das kaiserliche Heer besiegt, er nahm die Ehrenberger Klause am 19. Mai 1552 und zwang den Kaiser zur Flucht.
Durch den, dem Kaiser aufgezwungenen Passauer Vertrag, konnte erst eine endgültige Freilassung Landgrafs Philipp erzwungen werden.
(Der Passauer Vertrag vom 2. August 1552 zwischen dem römisch-deutschen König Ferdinand I. und den protestantischen Reichsfürsten unter der Führung Moritz von Sachsens nach dem Fürstenaufstand stellte die formale Anerkennung des Protestantismus dar, die mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 reichsrechtlich festgeschrieben wurde. Der Vertrag wurde im Passauer Lamberg-Palais verhandelt und abgeschlossen. Unterzeichnet wurde er im Schloss der Grafen Solms in Rödelheim.
Infolge der hastigen Flucht der Truppen des Kaisers Karl V. aus Innsbruck hatte Moritz sein oberstes Kriegsziel erreicht. Er wollte Verhandlungen mit Ferdinand I., dem Bruder Karls und zeitweisem Regent für das Reich, aufnehmen und zu einer Lösung der Religionsfrage im Reich gelangen. Dies war mit Karl nicht möglich, da er nicht zu einer friedlichen Regelung bereit war.)
Leider ereignete sich noch nach dem Friedensschlusse ein unangenehmer Zwischenfall. Beim Abzug der vereinigten Heere von Frankfurt am Main ging das seither in hessischen Diensten stehende reifenbergische Regiment zu dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Culmbach über, der den Passauer Vertrag nicht annehmen wollte.
Das konnte leicht eine unangenehme Wirkung auf die Losgabe des Landgrafen von Hessen haben. Denn die Königin Maria von Ungarn hatte zwar den Landgrafen als einen freien Fürsten unter einer Bedeckung nach Mastricht in der Absicht ziehen lassen, um ihm dem Vetrage gemäß weiter nach Rheinfels zu bringen. Das sie aber die Nachricht von dem reifenbergischen Regiment vernahm, ließ sie Philipp nach Löwen zurückbringen.
Bald darauf – es war am 25. August 1552 – traf jedoch beim hessischen Prinzen Wilhelm ein Sekretär König Ferdinands mit der Nachricht ein, daß Kaiser Karl V. den Passauer Vergleich ungeachtet des unliebsamen Zwischenfalles, halten wolle und daß seine Schwester den Landgrafen Philipp auf freien Fuß setzen sollte.
Wilhelm schickte diesen Entschluß sofort an die genannte Fürstin, welche ihn den Hauptmann überreichen ließ. Gleichzeitig traf auch ein Schreiben vom Bischof von Arras ein, nach welchem der Landgraf am 3. September 1552 seine Freiheit wieder erhalten sollte. Noch immer weigerte sich aber der Hauptmann Anton Ascavella, Philipp den Großmütigen freizulassen. Als jedoch Prinz Wilhelm dem Landgrafen den kaiserlichen Befehl der Loslassung überbrachte und die Schwester des Kaisers diesen dem Hauptmann zustellte, ließ er den Landgrafen sofort los. Letztere nahm nun hierauf Abschied und verließ Löwen am 5. September 1552.
Nach einer schweren Haft von 5 Jahren, 11 Wochen und 2 Tagen war Landgraf Philipp wieder frei. Jedoch hatten ihn die Jahre alt gemacht, obgleich er erst 47 Jahre zählte.
So endete die unter dem Zwange der Umstände die Gefangenschaft des Landgrafen früher, als der Kaiser es beabsichtigt hatte. Aber als gebrochener Mann kehrte Philipp in seine Lande zurück.
Von Kurt Diede, Adam Trott, Eberhard von Bruch und 300 Reisigen der Königin begleitet, ritt der Landgraf Philipp über Köln, Jülich und Siegen, wo ihn Graf Wilhelm freundlich empfing. Hundert hessische Arquebusiere erwarteten ihn an der vaterländischen Grenze. Philipp war grau geworden. Auf der alten Straße, die von Siegen über die Heide nach Marburg führt, kam Philipp der Großmütige am 10. September 1552 an einem Sonnabend an. Hier betrat er zuerst den teuren Boden seines heißgeliebten Landes und ward von seinen 4 Söhnen, dem Kanzler Lersner, dem Kammerschreiber Simon Jung und dem Marschall Wilhelm von Schachten empfangen. Wie ihn seine Söhne umarmten, bemächtigte sich aller eine unnennbare Rührung, die aus dem tiefen Gefühl überstandener Leiden hervorströmte. Dazu alle die treuen Untertanen aus Simmersbach und allen umliegenden Orten.
Greisen rollten die Tränen in den weißen Bart, als sie ihren Landesherren vor sich sahen.
Als heiliges Erinnerungsmal pflanzte man später diese alte Buche, sie sollte den fernsten spätesten Enkeln von jenem großen Tag und Geschehen in zukünftigen Zeiten künden und sie an die Hessentreue erinnern, die schon Tacitus vor 2000 Jahren in seinen Annalen preist.
Als der Landgraf in seiner Residenz Kassel anlangte, jubelte ihm sein treues Volk zu und folgte ihm in den Dom von St. Martin, wo der Landgraf im Chor vor dem Grabmal seiner heldenhaft verewigten Gemahlin Christina niederkniete und in dieser demütigen Stellung bis zum Ende der Predigt und Beginn des Ambrosianischen Lobgesanges verblieb.
Der große erhebende Tag ist dahingegangen, wie auch der heutige Gedenktag vergehen wird. Aber eins bleibt bestehen für das auch der alte Landgraf alle seine Leiden geduldig ertrug, für das erlebte und kämpfte: Gottes Wort.
Sein Wort, das er zu Überschrift über seine Verteidigungsschrift im Jahre 1540 setzt: „Verbum Domini manet in Aeternun“ das heißt „Gottes Wort bleibt in Ewigkeit“, ist für uns ein Mahnwort. So stand es seit dem Tag von Speyer auf den Feldbinden der hessischen Truppen, so steht es über Philipps des Großmütigen Lebenswerk und auf seiner Verteidigungsschrift, die ich hier als Original in Händen halte, so soll es auch bei uns sein und bleiben: „ Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Deshalb ist es auch in diesem Gedenkstein eingemeißelt worden
(Aber leider wurde der Gedenkstein, 1952, warum auch immer, abgerissen und verschwinden.).
Die Reformation Dr. Martin Luthers hatte in Philipp dem Großmütigen die stärkste Stütze gefunden, der selbst klar die Schäden der Zeit mit zielsicheren Blicken erkannte. Durch sie half der Landgraf eine neue Zeit zu formen. Er selbst brachte seinen Ideen und der guten Sache durch seine Gefangenschaft einen wertvollen Dienst aus freiem Willen dar.
Philipp, dessen Erscheinung in unseren Tagen eine zwar raue, aber hocherhebende kämpferische, treudeutsche Gestalt darbietet war von seiner Jugend an hochherzig, bieder, kühn, entschlossen und ein uneigennütziger Verteidiger der Freiheit und des Rechts, der deutschen Sache gegen kaiserlich spanische Hinterlist, ein unbestechlicher Feind, der gleisnerische Unehrlichkeit und unwürdiger Möncherei, des Despotismus und einer volks- und rassefremden kaiserlichen Zentralgewalt.
Der standhafte, bis zur Aufopferung begeisterte Held der Glaubensverbesserung, war ein deutscher Mann im besten Sinn des Wortes, ein echter Fürst des heiligen, freien Reiches deutscher Nation – auch selbst während seiner Annäherung an die ritterlichen Könige Frankreichs, ein großer Parteiführer und Friedensvermittler, wie Luther voll körniger Beredsamkeit. Wie Dr. Luther glaubte er die neue herrliche Zeit schon Nahe, der er ahnungsvoll, kühn und entschlossen entgegentrat. – Jedoch plötzlich stand er an einer Grenze, die zu überschreiten ihm nicht vergönnt war.
Fast wie aus der Gegenwart entnommen, mutet uns sein Wort an, das da lautet: „ Einer gebietet!“ Es ist die Homerische Regel, aus der Ilias entnommen, welche er sich zu seinem Regierungsgrundsatze wählte. Das Führerprinzip stand diesem größten deutschen Fürsten des 16. Jahrhunderts schon klar vor Augen.
In Philipp verdichtete sich der Geist der neuen Zeit, die machtvolle Reorganisation des gesamten abendländischen religiösen und politischen Lebens, der sich bewußt vom katholischen-klösterlichen, romantisch wesensfremden zum protestantisch-freien, echt deutschen Wesen hindurchrang. Es war eine neue Zeit, die schon Bausteine in großem Maße für das dritte Reich der Freiheit und des wahrhaft deutschen Menschen lieferte.
Philipp der Großmütige ahnte sein Kommen, unsere Generation hat das Glück, es zu schauen und zu erleben, was die Geisteshelden des 16. Und aller folgenden Jahrhunderte ersehnten. Die dankbare Nachwelt vergißt aber auch ihre heldischen Ahnen nicht, sondern erinnert sich gern ihrer großen Taten. So mag denn der Philippstein bis in die fernsten Zeiten hinein von den treuen Enkeln jener großen Vorfahren und ihrer Dankbarkeit Kunde bringen, er soll zeugen:

„Wenn einstmals in der weiten Welt
Die Treu der Klugheit räumt das Feld,
Sonst nirgends eine Ruhstatt hätte,
Das Hessenland bleibt ihre Stätte.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lehrer Hans Pez aus Herbertshausen während seines Vortrages bei der Einweihung des erneuerten Philipp-Gedenksteines Jahre 1936

 

 

 

Quellen: Originaltext aus Mitteilungen aus Geschichte und Heimatkunde des Kreises Biedenkopf, Vereinsblatt des „Geschichtsvereins für den Kreis Biedenkopf“ 26. Jahrgang, 1937, Nr. 2
Originaltext aus Mitteilungen aus Geschichte und Heimatkunde des Kreises Biedenkopf, Vereinsblatt des „Geschichtsvereins für den Kreis Biedenkopf“ 26. Jahrgang, 1937, Nr. 2 Wikipedia

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