Die „Verwahrung” des Kirchhofes zu Simmersbach im Jahre 1781
Die „Verwahrung” des Kirchhofes zu Simmersbach im Jahre 1781
Die Simmersbacher Chorturmkirche mit achteckigem Spitzhelm,
Turm aus dem 13. Jahrhundert, Schiff in der heutigen Form
aus dem Jahre 1774. Die Fläche um die Kirche diente noch
bis Anfang des 19. Jahrhunderts als Begräbnisstätte.
Am 11. September 1781 richtete das Konsistorium zu Gießen, die obere kirchliche Verwaltungsbehörde, ein Schreiben an den Amtmann Philipp Heinrich Krebs zu Gladenbach unter der Überschrift „Die Verwahrung des Kirchhofs zu Simmersbach”
(gemeint ist in diesem Fall die in der Mitte des Ortes gelegene Fläche um die Kirche, die noch bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Begräbnisplatz diente).
Das Konsistorium schrieb:
„Bey der letzteren Kirchen Visitation sehe die Anzeige geschehen, daß, weilen der gemeine Weeg über den Kirchhof gehe, und ein jeder, der solchen betritt, die Thüren offen stehenlaße, dadurch das Vieh des Orts zum öffteren hineindringe, und nicht allein dem Schuldiener, welcher den Gottes Acker als ein Besoldungs Stück zu benutzen hat, sein Gras abweide, sondern auch an den Gräbern der daselbst ruhenden Toden allerley Verwüstung anrichte. Er hätte also der Gemeinde den ernstlichen Befehl dahin zu ertheilen, daß solche den Kirchhoftheils durch das nöthige vorden Thüren deßelben anzubringende eiserne oder höltzerne Gatterwerck, theils durch gewiße an den Thüren selber angebrachte Gewichter vor dem Anlauf des Viehes sicher stellen solle.”
Amtmann Krebs leitete das Schreiben am 1. Oktober an den Simmersbacher Pfarrer Johannes Vigelius weiter mit dem Kommentar:
„Diesen Befehl dem Schultheiß und Seniorenbekannt zu machen und sie vol. meo (durch meinen Willen) zu Befolgung desselben binnen 14 Tagen anzuweißen. Nach deren Verlauf mir dieses zu remittiren (zurückzuschicken) und gefällig zu melden, ob Folgegeleistet oder weiterer Amtszwang nöthig seye.” 1)
Weisungsgemäß sandte Vigelius das Schreiben am 17.Oktober zurück und bemerkte:
Dieses „habe sogleich nach dem Empfang dem hiesigen Schultheiß und einem Kirchen Senior publiciret (bekannt gemacht) und solche in Ew. Wohlgebohrnen Nahmen zur Nachlebung angewiesen, welches nun auch, wie mich vorgestern ein Vorsteher versichert, in denen ersten Tagen erfolgen soll. Dringende Arbeit mit Korn säen und Kartoffel-Erndte haben solches ein wenig verhindert, doch soll es nicht vergessen werden.” 2)
Es ist nicht bekannt, ob die Arbeiten auch wirklich ausgeführt wurden.3) Diese Quelle ist ein Beleg für eine Vorrichtung, die meist Rost oder Beinbrecher, seltener Kirchgatter und hier Gatterwerk genannt wurde. Damit ist folgendes gemeint:
„Um das Vieh am Betreten des Kirchhofs zu hindern, wurden an den Eingängen häufig sogenannte Beinbrecher, auf einer Grube liegende Gitter aus Eisen (seltener aus Holz) in Rostform, angebracht. Menschen konnten diese Roste betreten, Tiere blieben mit ihren Beinen darin hängen; dadurch wurde ihnen das Eindringen in den Kirchhofverwehrt.”4)
Heute sind in Hessen wahrscheinlich keine Beinbrecher mehr vorhanden. Die Forschung konnte jedoch schon zahlreiche schriftliche Belege auffinden, woraus man auf die ehemals weite Verbreitung der Beinbrecher geschlossen hat.5) Für den Altkreis Biedenkopf bringt die Quelle über Simmersbach die bisher einzige bekannte Erwähnung.
Das Problem, das hier angesprochen wurde – Verwüstungen auf mangelhaft umfriedeten Kirchhöfen durch innerhalb der Orte frei umherlaufendes Vieh -, war 1781 weder neu noch auf Simmersbach beschränkt, wie einige Beispiele aus Hessen zeigen sollen:
Schon im Jahre 1486 mußten in Frankenberg Roste um den Kirchhof gemacht werden, weil dieser vormals offenstand und allerlei Viehdarauf ging.6)
Auch in Rodheim an der Bieber war man 1739 gezwungen, die Kirchhofsmauer rundherum neu aufzuführen, weildiese vorher „nicht wohl verwahret, sondern die Schweine und anderes Vieh, das auch beständig auf den Kirchhofkommen und die Totengräberverwüstet, auch sonsten zum Übelstand und Störung des Gottesdienstes wohl in die Kirche gedrungen” waren.7)
In Schwalheim nahe Bad Nauheim war der Kirchhof in der Mitte des 18. Jahrhunderts von den Schweinen durchwühlt.8)
Die Pfarrer des Hanauer Landes wurden 1818 überdrängende Probleme befragt und erklärten u. a.: „Auch die Totenhöfe sollten allenthalben räumlich genug und mit Mauern eingefaßt sein, damit die Ruhe der Toten nicht gestört werde; so aber seien die Mauern teilweise verfallen oderfehlten ganz, vielfach sei der Totenhof im Ort eine Viehweide.”9)
In Simmersbach stand man allerdings der Umfriedung des Kirchhofes keinesfalls gleichgültig
gegenüber. Denn aus den Kirchen- und Gemeinderechnungen lassen sich für das 18. und den Anfang des19. Jahrhunderts kontinuierliche Baumaßnahmen nachweisen. U. a. wurde die Umfriedung im Jahre 1775 in Zusammenhangmit dem Neubau des Gemeinderaums der Simmersbacher Kirche instand gesetzt. In diesem Jahr bekam der Zimmermeister Johann
Jacob Metzler aus Roth 4 Gulden „von Kirchhofsthoren”.Daneben erhielt der Maurermeister Peter Marsch aus Beunehausen (?) im Homburgischen6 Gulden „von der Kirchhofsmauer zu reparieren”.10)
Die Mauer befand sich also1781 wahrscheinlich in gutem Zustand, und die Türen waren neu. Da sich jedoch die Bevölkerung beim Schließen der Kirchhofstüren nachlässig zeigte, waren noch weitere Maßnahmen notwendig, um das Vieh wirkungsvoll vom Kirchhof fernhalten zu können. Dazu gehörte beispielsweise die Anbringung der Roste und der Gewichte. Dies mußte allerdings. erst vom Konsistorium, das sich durch die damals alle drei Jahre abgehaltenen Kirchenvisitationen ein Bild von den örtlichen Verhältnissen verschaffte, unter Androhung von Zwangsmaßnahmen befohlen werden.
Quellen Hinterländer Geschichtsblätter 75. Jahrgang, Nr. 4, Dezember 1996, Seite 63
Autor Gerald Bamberger, Artentod
Anmerkungen
1) Staatsarchiv Marburg Bestand 111 im Amt Blankenstein Nr. 253. Auf dem Aktenumschlag ist irrtümlich die Jahreszahl1787 statt 1781 angegeben.
2) Pfarrarchiv Simmersbach.
3) In den entsprechenden Kirchenrechnungen werden diese Arbeiten nicht erwähnt. Leider konnten die Gemeinderechnungen aus der in Fragekommenden Zeit bisher nichtgefunden werden.
4) Seib, Gerhard: Studien zu wehrhaften Kirchen in Nordhessen, Analytischer Teil, Inaugural-Dissertation Marburg, Bad Oeynhausen 1988,S. 50.
5) Seib, ebd.; Höck, Alfred: Hessische Belege für „Roste” bzw. Beinbrecher an Friedhöfen, in: Hessische Heimat, 24(1974) 4, S. 209-211.
6) Höck a.A.o., S. 209.
7) Schmidt, Ernst Geschichtliches über die Kirche in Rodheim an der Bieber, Biebertal1986, S. 6.
8) Kraft, Leonhard: Beiträge zur Geschichte des Kirchenbaues im Kreise Friedberg i. H., Textband, Darmstadt1918, S. 42.
9) Henß, Carl: Die von denPredigern in Beziehung aufdie Synodalverhandlungeneingegebenen Desiderien, in:Die Hanauer Union. Festschriftzur Hundertjahrfeierder ev.-unierten Kirchengemeinschaftim Konsistorialbezirk”Cassel am 28. Mai 1918.Hrsg. von Carl Henß im Auftragder Geinhäuser Pfarrkonferenzin Verbindung mit denPfarrern Fr. Heck, J. Hufnagelund L. Kohlenbusch, Hanau1918, S. 240
10) Pfarrarchiv Simmersbach