Simmersbach – Der Badeweiher – Ich

Simmersbach – Der Badeweiher – Ich

Simmersbach, mein Dorf, hier bin ich aufgewachsen.
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.
Der Badeweiher, der ist schon immer da.
Vermutlich habe ich hier wie viele andere Schlittschuhlaufen gelernt. Und Schwimmen sowieso.
Seit ich denken kann, habe ich einen Großteil jeden Sommers hier verbracht, hab getaucht, geschwommen, getobt und gelacht.
Und alle waren da, Mama, Papa, mein Bruder, Freunde, Klassenkameraden, Nachbarn. Manchmal bin ich einfach in die Badehose geschlUpft und hingeflitzt, Mama hat dann immer dafür gesorgt, dass ich wenigstens ein Handtuch zum Abtrocknen habe.
Ein Junge, der zwei Jahre älter war als ich, hat mich einmal vor den Augen meiner Mutter untergetaucht. Mama hat gesagt „Hör auf“ und er hat aufgehört.
Irgendwann habe ich es geschafft, das komplette Becken zu durchschwimmen und war unglaublich stolz auf mich. Als wir etwas älter waren, sind ich und meine Freunde immer vom Rand gesprungen, wo früher einmal der Sprungturm stand, haben Kopfsprünge und Saltos gemacht und waren überzeugt davon, damit die Mädchen unglaublich beeindrucken zu können.
Die hat das natürlich eher selten interessiert.
Papa war in der Feuerwehr. Jedes Jahr an einem Samstag im Frühjahr stand die Badeweiherreinigung an, auf die ich mich immer schon Wochen vorher gefreut habe.
Viele Kinder aus dem Dorf kamen dann mit Besen und kniehohen Gummistiefeln ausgerüstet zum Weiher, der dann immer schon fast leer und nur noch mit jeder Menge Schlamm gefüllt war.
Die Feuerwehnmänner haben den Schlamm dann mit großen Wasserschläuchen Richtung Abfluss gespritzt und wir eifrig mit unseren Besen hinterher.
Am Ende des Tages waren wir dann immer nass, dreckig und erschöpft, aber unglaublich stolz, weil wir geholfen haben, den Badeweiher mal wieder sauber zu machen – auch wenn die Feuerwehr das sicher ohne uns geschafft hätte, aber das hat uns zum Glück niemand verraten.
Zum Abschluss gab es dann immer noch Würstchen und Cola, das Wasser wurde in den nächsten Tagen wieder eingelassen und wir wussten, dass wir bald endlich
wieder planschen können.

Für mich war der Badeweiher mit allem Drum und Dran damals eine Selbstverständlichkeit und ich habe nie daran gezweifelt, dass irgendjemand etwas an unserem Badeweiher auszusetzen hat.
Irgendwann in den Neunzigern bekam die Gemeinde dann einen neuen Bürgermeister, dem das alles nicht zu gefallen schien.
Plötzlich hieß es, dass Baden sei verboten, was für mich damals völlig absurd war.
Erst dann habe ich erfahren, dass das bereits seit den Sechzigern der Fall sei, weil woanders einmal beinahe ein Kind ertrunken ist. In den letzten Jahren sei es aber mehr oder weniger geduldet gewesen. Plötzlich wurden dann neue Torschlösser angebracht, der Zaun wurde erneuert und große >Baden Verboten< Schilder aufgestellt.
Der Bürgermeister war sogar ein paar Mal da und ich weiß noch, dass er einmal alle aus dem Wasser beordert und am Beckenrand um sich versammelt hat, um noch einmal ausdrücklich zu erklären, warum das Baden nicht erlaubt ist.
Ich weiß auch noch, dass ich mich damals gefragt habe, wie es wohl wäre, wenn ich ihn, der da in Anzug und gelb­kariertem Sakko stand, jetzt einfach ins Wasser schubse – was ich natürlich nicht getan habe. Nachdem er uns dann allerdings alle nach Hause geschickt und sich zum Gehen gewendet hatte, hat mich dann irgend jemand ins Wasser gestoßen.
Meinem Beispiel sind dann viele gefolgt und noch bevor der Bürgermeister das Gelände verlassen hatte, war das Becken wieder voller Leute – Kinder wie Erwachsene.
Rückwirkend betrachtet ein durchaus anarchistischer Akt, bei dem wir uns aber unglaublich gut gefühlt haben.
Ich erinnere mich auch noch, dass wir auf den Baden Verboten Schildern regelmäßig den Buchstaben „V“ weggekratzt haben und ich das als eine unglaublich kreative Idee fand.

In meiner Erinnerung ging das mehrere Sommer lang so, der Bürgermeister hat viel dafür getan, dass im Badeweiher nicht mehr gebadet wird, uns war es meistens egal.
Leute aus dem Dorf nahmen Wasserproben und gaben sie ins Labor, um zu beweisen, wie sauber das Wasser im Badeweiher ist und um so eines der Argumente des Bürgermeisters zu widerlegen, was dieser aber scheinbar nicht registrierte. Irgendwann hat meine Mutter einen Leserbrief an die Zeitung geschrieben, der Titel „Kinder von heute sind die Wähler von Morgen“, ist mir noch heute im Gedächtnis.
Ich habe bis heute nicht wirklich verstanden, warum der damalige Bürgermeister eine solche Energie darauf verwandt hat, uns am Baden in unserem Badeweiher zu hindern. Irgendwann hatte ich gehört, dass man ja nur wolle, dass das Schwimmbad in Eibelshausen besser besucht werde, was ich damals natürlich geglaubt habe, heute aber eigentlich eher abwegig finde, da es glaube ich keinen wesentlichen Zusammenhang zwischen der Nutzung des Panoramablicks und des Badeweihers gibt.
Es gab auch Stimmen, die behauptet haben, er könne Simmersbach einfach nicht leiden, weil er ja schließlich aus Hirzenhain kam, aber das ist nun ja wirklich absurd.
Wie gesagt, ich weiß bis heute nicht, warum es ihm so wichtig war, aber irgendwie scheint seine Arbeit eine gewisse Wirkung erzielt zu haben.
Ich bin weit davon entfernt, dies als einzigen Grund auf Zuführen, denn ich glaube auch, dass viele Simmersbacher – vor allem Kinder und Jugendliche – das Interesse am Badeweiher verloren haben, aber in jedem Fall wurde das Ambiente am Badeweiher immer ungemütlicher.
Hohe Metallzäune im Eingangsbereich, der Beton im Becken platzte immer mehr ab, Gras schwamm auf der Oberfläche, Jugendliche warfen ihren Müll hinein und verteilten ihn auf dem Gelände, Bänke wurden zerstört und es schien sich auch niemand mehr wirklich verantwortlich zu fühlen.
Ich weiß noch, dass ich irgendwann selbstgemalte Schilder aufgehängt habe: „Werft Euren Müll nicht in den Badeweiher, zu Hause schmeißt ihr ihn doch auch nicht in die Badewanne!“ Als wir etwa fünfzehn waren, sind ein Freund und ich einmal abends am Badeweiher vorbeigefahren, während ein paar junge Leute aus dem Dorf, die ein paar Jahre älter waren als wir, dort eine Party
gefeiert haben, dabei immer wieder ins Wasser gesprungen sind und Spaß hatten, als seien sie noch Kinder. Nachdem sie uns entdeckt hatten, wie wir da am Zaun standen, haben sie uns jedem zwei Bierbecher über den Zaun gereicht, die wir grinsend getrunken haben, während wir sie weiter beobachteten. Die zwei Bier sind uns schnell zu Kopf gestiegen und auf Nachhauseweg kamen wir aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Am Badeweiher war von der Party am nächsten Tag aber nichts mehr zu sehen – es ging also auch ohne seinen Müll liegen zu lassen. Das war aber leider die Ausnahme und der Badeweiher verkam zusehends.
Nach wie vor sind Leute zum Schwimmen hingegangen, aber es wurden immer weniger.
Auch ich bin, obwohl ich älter wurde, immer mal wieder gerne reingesprungen und als Jugendlicher habe ich immer gedacht, dass wenn ich mal viel Geld habe, ich den Badeweiher kaufe, saniere und dem Dorf zur Verfügung stelle, so das alles wieder wie früher wird. Ein schön nostalgischer Gedanke, umso mehr, wenn man sich alte Postkarten anschaut, auf denen der Badeweiher
auch offiziell noch Badeweiher war und sogar dazu genutzt wurde, um den Tourismus anzukurbeln, in einer Zeit die noch weit vor meiner Geburt liegt.

Zugegebenermaßen mag in meinen Erinnerungen vieles romantisch verklärt sein, aber in jedem Fall bin ich mit dem Badeweiher aufgewachsen und er war Teil meiner Kindheit – und so geht es sehr vielen Leuten im Dorf. Inzwischen wohne ich schon seit einigen Jahren in Wiesbaden, hier gibt es keine Badeweiher, nur völlig überfüllte Freibäder und Gevatter Rhein.
In Simmersbach bin ich aber immer noch oft und gerne.
Meiner Verlobten, die ich in der Stadt gefunden habe, gefällt es hier ebenfalls sehr gut und wir sagen immer, dass wir irgendwann – in meinem Fall wieder – ins schöne Simmersbach ziehen und ich konnte mich auch nicht davon trennen, als Zweitwohnsitz weiterhin Simmersbach angegeben zu haben. Der Anblick der uns nun jedoch seit einiger Zeit empfängt, wenn wir oben ins Dorf rein fuhren, stimmt mich dann doch sehr traurig.
Aus dem Badeweiher meiner Kindheit ist eine leere Ruine geworden, in der kein Wasser mehr ist, der letzte Rest Schönheit und Würde und Nostalgie der ihm noch innewohnt, verfällt so nackt der Witterung ausgesetzt von Tag zu Tag mehr.
Wie müsste dieser Anblick erst für jemanden sein, der mitbekomme hat, wie aus dem einstigen SchafPfuhl zunächst eine Brand- und dann der Badeweiher wurde, der durch die gemeinsamen Anstrengungen der Dortbewohner errichtet wurde.
So etwas ist heute leider nur noch sehr schwer vorstellbar, aber ich denke dennoch, dass viele Dorfbewohner sich einig sind, dass es SO auf keinen Fall bleiben kann. Ich hab die ganze Geschichte nur am Rande mitbekommen und vielleicht verstehe ich auch deswegen das Problem nicht. Aber meines Wissens besteht die Gefahr eines erneuten Überlaufens doch nur, wenn bei einem Unwetter der Zulauf nicht rechtzeitig versperrt wird.
Und wenn sich da jemand für verantwortlich fühlt, ist doch alles in Ordnung. Und so wie ich gehört habe, haben sich inzwischen bereits einige der direkten Anwohner dazu bereit erklärt, hier ein Stück Verantwortung zu übernehmen.

Was ist also das Problem!?

Und auch für die Pflege der Außenanlage, Rasen, Zäune, Bänke, sollten doch ein paar Leute zu finden sein, die sich um die Gestaltung und Erhaltung kümmern, vielleicht mit Hilfe des Verschönerungsvereins. Das hat doch vor fünfzig Jahren auch schon mal funktioniert. Wenn jeder sich für ein bisschen was zuständig fühlt, ist es doch gar nicht mehr viel. Wir haben so viele Vereine im Dorf, da müssten doch ein paar Leute zu aktivieren sein.
Und auch der Jugend im Dorf kann das alles doch nicht völlig egal sein.
Ich sag jetzt mal ganz ketzerisch: Auf’m Roth, da würde das Ding nicht so aussehen … Und das sollte uns Simmersbachern wirklich zu denken geben!

Wenn ein paar Leute mit anpacken, könnten wir aus dem Badeweiher nach der Phillipsbuche ein zweites Aushängeschild für unser Dorf machen.
Aber das muss es ja gar nicht sein. Es reicht ja, wenn es einfach wieder ein bisschen schöner wird und das Dorf sich wieder ein bisschen mehr um
den Badeweiher kümmert. Außerdem, je mehr Leute sich verantwortlich fühlen, desto respektvoller wird auch wieder mit dem Gelände umgegangen.

In Wiesbaden sitzen und große Reden schwingen ist einfach, das gebe ich zu.
Und dann bin ich noch nicht mal heute da, bei der Veranstaltung, bei der es um die Zukunft des Badeweihers geht und bei der meine Mutter dieses Schreiben hoffentlich in den dafür vorgesehenen Kasten wirft. Letzteres hat allerdings berufliche Gründe, ich wäre wirklich gerne gekommen. Und ich will auch gar nicht mit dem Zeigefinger wedeln und sagen „kümmert euch mal um den Badeweiher“.
Ich wollte lediglich meine Gedanken äußern und ein paar Anregungen geben. Und wenn ich nicht hundertfünfzig Kilometer weg wäre, wäre ich sofort dabei. Irgendwie ist der Badeweiher eine Herzensangelegenheit und für mich wär es absolut schön, wenn eines Tages meine noch nicht geborenen Kinder im Badeweiher schwimmen lernen würden, so wie Kinder schon vor fünfzig, sechzig, siebzig Jahren schon schwimmen gelernt haben.

Und zum Abschluss noch ein Satz zum Baden im Badeweiher: Dass es hier nach wie vor ein Badeverbot gibt – wenn denn Wasser drin ist – kann ich auch heute, mit fast dreißig Jahren,genauso
wenig nachvollziehen wie ich es als Kind konnte.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso von Seiten der Gemeindeverantwortlichen, wenn sie sich denn schon absichern wollen, anstelle eines Baden Verboten Schildes nicht einfach ein Schild
aufgestellt werden kann, mit >Baden auf eigene Gefahr<. Überall ist es erlaubt oder zumindest nicht verboten, sei es am Perfstausee in Breidenstein, am Stauweiher in Ewersbach oder bis vor kurzem auch noch am Badeweiher in Frohnhausen.
Im ganzen Land gibt es Seen, Weiher und Talsperren, wo bei diesen heißen Temperaturen gebadet wird, ohne dass sich jemand darüber beschwert. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wieso es ausgerechnet in Simmersbach so ein Problem darzustellen scheint.
Im Badeweiher gibt es keine Flora und Fauna die geschützt werden wollen, ich wüsste nicht dass sich je ein Anwohner über lärmende Badegäste beschwert hat und die Wasserqualität ist auch heute mit Sicherheit noch hervorragend. Und was eventuelle Gefahren betrifft, die beim Schwimmen ohne professionelle Badeaufsicht bestehen, die gibt es an jedem anderen Gewässer auch und auch in einem Schwimmbad oder Hotelpool ist man nicht davor gefeit.
Letzten Endes kann ja auch jeder selbst entscheiden, in welches Wasser er steigt. Genauso wie jeder selbst entscheiden kann, ob er den Hirzenhainer Skihang runterbrettert, Motocross fährt oder auf irgendwelche Berge klettert. Da trägt kein Bürgermeister die Verantwortung für.

Wiesbaden und Simmersbach im August 2012

Sascha Kretz

Das könnte dich auch interessieren …